Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
und warten. Morgen werde ich den Beamten das alles erzählen, damit sie uns die Erlaubnis geben, in Deutschland zu bleiben.«
Und dieser Tag war heute.
Ich hockte immer noch in diesem schmucklosen Raum und konnte es nicht abwarten, dass sie endlich aus der weißen Tür hinaustrat. Bis vor Kurzem hatte ich einen wichtigen Teil ihres Lebens nicht gekannt. Ich war stolz auf sie, aber sie tat mir auch leid. Sie hatte so viel durchgemacht.
Was aber, wenn der Beamte ihr nicht glauben würde? Im Iran würden sie Madar ins Gefängnis stecken, ihr wehtun, sie von uns trennen. Der Beamte musste ihr glauben.
Endlich öffnete sich die weiße Tür und Madar schlich mit gesenktem Kopf hinaus. Ich sprang auf. Auch Mojtaba und Milad waren plötzlich zum Leben erwacht. Sie kam schweigend zu uns und setzte sich hin. So erschöpft hatte ich sie selten erlebt. Wir stellten uns vor ihr auf. Nach einer Weile sprach sie endlich: » Batscheha , es tut mir leid, aber ich kann euch jetzt nicht viel sagen. Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland bleiben dürfen. Wir sollen wieder auf einen Brief warten. Ansonsten weiß ich nur, dass wir bald in eine andere Stadt verlegt werden.«
Madar schwieg wieder und hielt mit beiden Händen ihr Gesicht bedeckt. Ich erinnerte mich an Amirs Eltern am Tisch, und an den Satz, den sein Vater damals gesagt hatte: »Gott möge uns beistehen, wenn sie uns nicht akzeptieren.«
3
Stadt, Heim, Wurst
MOJTABA Andere Stadt.
»Kein Auto!«, das verstand ich mittlerweile auch so. Dazu musste der dickbäuchige Mann an der Tafel nicht mit seinem Zeigestock auf das durchgekreuzte Autosymbol hämmern. Bevor er sich dem nächsten Bildchen zuwandte, warf er einen strengen Blick über seine Lesebrille hinweg durch den Raum, als lauerte er auf stillen Widerspruch. Ich bemühte mich, ihm nicht in die Augen zu schauen und verhielt mich ruhig, genau wie der Rest der Gruppe.
Der Raum war voll. Vor einer halben Stunde hatte ein Bus uns vier und viele andere aus dem Münsteraner Asylbewerberheim hierher gebracht. Hier, in Lengerich, einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt, sollten wir auf die Antwort der alles entscheidenden Frage warten: Dürfen wir in Deutschland bleiben?
Madar, Milad und Masoud saßen auf Holzstühlen neben mir. Seit Monaten sah ich sie in denselben, inzwischen völlig abgewetzten Klamotten. Erst im Versteck bei Chaleh Laleh, dann auf dem Parkplatz der Anmeldestelle in Hannover, Tag für Tag im Münsteraner Heim und nun hier. Seit Monaten konnten wir nichts anderes tun als zu warten, und niemand wusste genau, was als Nächstes geschehen würde. Im Iran hatte ich Angst vor den Pasdaran , die jeden Moment unser Versteck hätten stürmen und Madar verhaften können. Seit wir in Deutschland angekommen waren, fürchtete ich mich vor Briefen, die alles verändern konnten. Wir hatten zwar das Versteck verlassen, aber wirklich entkommen waren wir ihm nicht. So dachte ich jedenfalls in diesem Moment, als uns wieder einmal Regeln und Verbote auferlegt wurden.
»Understand?«, fragte Dickbauch, der nun auf Englisch wechselte. Einige Köpfe nickten und er fuhr fort. Mit maschineller Gleichmäßigkeit klopfte er Bildchen für Bildchen ab. Ich verstand ihn kaum. Zwar hatte uns Madar in den letzten Wochen noch mehr englische Vokabeln beigebracht, als wir schon bei einem Englischkurs im Iran gelernt hatten, aber das reichte nicht. Darum übersetzte Madar für uns. Sie erklärte, dass es verboten sei, viel Geld zu besitzen. Außerdem dürften die Erwachsenen nicht arbeiten. »Wie soll jemand viel Geld besitzen, wenn er nicht arbeitet?«, fragte ich Madar. Sie zuckte nur mit den Schultern und erklärte weiter: Es sei verboten, direkt zum Arzt zu gehen, wenn wir krank werden sollten. Zuerst müssten wir uns vom Dickbauch eine Genehmigung ausstellen lassen. Bei einer Abbildung, die einen durchgekreuzten Ring zeigte, konnte sich Masoud einen Scherz nicht verkneifen: » Batscheha , wir dürfen nicht heiraten!« Wir schmunzelten und Madar erklärte, was wirklich gemeint war. Wir dürften keinen Schmuck oder andere wertvolle Dinge besitzen.
Etwas später saßen alle wieder im Bus und er rollte los. Mich interessierte nur noch eins: das neue Heim, in das wir nun verlegt wurden. Ich fragte mich, ob es wie in Münster sein würde. Ob wir wieder mit Wildfremden Gemeinschaftstoiletten und Duschen teilen müssten. Als wir anhielten, wurden die Personen aufgerufen, die aussteigen sollten: Wir vier und … und sonst niemand! Der
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