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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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Brust. Ich redete mir ein, dass der Tschador alles verdeckte und mich beschützte. Ich versuchte mich abzulenken und dachte an euch, an das, was ihr wohl gerade tatet, an den Moment, in dem ich die Haustür aufschlösse, ihr auf mich zukämt und mich von allen Seiten umarmen würdet. Die Pasdaran blieben auf meiner Höhe stehen. Jetzt würden sie mich kontrollieren und die Flugblätter entdecken – Verrat schwarz auf weiß. Aber ich hörte nur ein Rascheln. Was war das? Dann begriff ich endlich, worum es sich handelte, und mir fiel ein Stein vom Herzen: Es war ein Feuerzeug, mit dem sich einer der Pasdaran eine Zigarette ansteckte. Die Revolutionswächter schritten einfach weiter, ohne mich überhaupt beachtet zu haben.
    In solchen Augenblicken war die Angst dein größter Feind. Der Angstschweiß lockte die Spürhunde an, machte sie aufmerksam. Obwohl ich das wusste, fiel es mir immer noch sehr schwer, die Furcht zu unterdrücken. Auch nach all den Jahren.
    Neda trat aus dem Gebäude hinaus, kam auf mich zu und nahm einen neuen Stoß Flugblätter an sich. Flüsternd mahnte ich sie zur besonderen Wachsamkeit, da es hier nur von Pasdaran wimmelte. Ihre Augen weiteten sich kurz, ohne ein Wort zu sagen nickte sie und zog weiter. Ich folgte ihr. Eins nach dem anderen klapperten wir die Gebäude ab. Die Dämmerung setzte bald ein und die Abendluft sorgte für Abkühlung. Wir waren fast fertig und in meinen Gedanken befand ich mich bereits auf dem Rückweg zu euch nach Hause. Als wir uns dem letzten Gebäude näherten, kam Neda wieder zu mir und nahm unter meinem Tschador einen neuen Stoß Flugblätter entgegen. Unsere Hände berührten sich. Unwillkürlich ergriff ich ihre Hand und flüsterte ihr zu: ›Einmal noch, dann ist es vorbei. Dann haben wir es geschafft.‹ Nedas Gesicht leuchtete auf und sie eilte davon. Mit schnellen Schritten stieg sie die Treppen hinauf, lief durch die gläserne Tür und betrat das Foyer. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, umgeben von Sofas. Diesem gegenüber befanden sich die Aufzugstüren und in einer Ecke neigte sich eine verwelkte Pflanze nach vorn. Neda ging geradewegs zum Tisch. Ein letzter Blick ringsum, dann verschwanden ihre dünnen Finger unter ihrem Tschador und sie holte einen Batzen Flugblätter hervor. Im selben Moment öffnete sich plötzlich eine Aufzugstür. Schweren Schrittes trat jemand hinaus. Wie aus dem Nichts hatte sie einen hochgewachsenen, bärtigen Mann in grüner Uniform vor sich. An seinem Gürtel war eine Pistole befestigt. Sekundenlang trafen sich ihre Blicke. Neda erstarrte.
    Schuldgefühle überkamen mich. Bevor wir losgegangen waren, hatten wir uns noch fest umarmt. Sie wollte es nicht zeigen, aber ihr zitternder Körper hatte mir ihre Angst verraten. Schließlich war sie noch nicht einmal zwanzig – fast noch ein Kind. Ich hätte sie nicht mitnehmen dürfen!
    Der Revolutionswächter ging auf sie zu und Neda ließ die Flugblätter aus der Hand fallen. Sie befreite sich von ihrem Tschador und wollte loslaufen, doch der Uniformierte brüllte, packte sie, zerrte an ihr. Sie fiel hin, schlug um sich, schrie. Aber es brachte gar nichts: Er sammelte die verstreuten Flugblätter auf und schleifte Neda hinter sich her in den Aufzug. Die Türen schlugen zu. Ihre Schreie verstummten. Nur ihr schwarzer Tschador blieb zurück.
    Es war nichts mehr zu machen. Ich rannte zu dem Ort, wo ich mich mit den anderen Frauen verabredet hatte. Wir gingen nach dem Plan vor, den wir für solche Notfälle vorbereitet hatten: Wir vernichteten alle Unterlagen und trennten uns so schnell es ging. Ich rief euren Vater an und sagte ihm, was passiert war. Dann holte ich euch von zu Hause ab und wir fuhren zu Chaleh Laleh und Amu Haschem, die mir ihren Schutz für solche Fälle angeboten hatten. Uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten, um zu sehen, ob das Regime unsere Namen aus ihr herauspressen konnte. Aber es dauerte nicht lange, bis schließlich die Gewissheit kam. Nach etwa zehn Tagen erfuhr ich, dass die Pasdaran sowohl die Wohnung eurer Großeltern, als auch unsere durchsucht hatten. Sie hatte uns verraten.
    Batscheha , ich konnte nicht riskieren, euch in Gefahr zu bringen. Ich war bereit, mein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, aber nicht eures. Nicht selten kam es vor, dass sie in den Foltergefängnissen sogar die Kinder benutzten, um die Eltern unter Druck zu setzen. Uns blieb nichts anderes übrig: Wir mussten den Iran verlassen.
    Und deshalb sitzen wir nun hier

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