Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
auf mein Fahrrad und raste in die Stadt. Die Rückfahrt gestaltete sich schleppend, denn mein Gepäckträger war voll bepackt. Endlich wieder in der Wohnung angekommen, lud ich schweißgebadet meine gewichtige Fracht vor den überraschten Gesichtern von Madar, Milad und, ganz besonders, Masoud ab: einen Eimer weißer Wandfarbe sowie dazu passende Pinsel und Farbrollen. Alle wussten, was zu tun war.
Kurz darauf sahen wir aus wie eine Kinderhorde, die vier Wände zur freien Verfügung hatte und sich darauf austoben konnte: Unsere Pinsel vollführten Schwünge in der Luft, die Rollen wirbelten über die Wand, die Farbe spritzte und versah uns mit wilden Sprenkeln und Tupfen. Wir hatten zwar kein fröhliches Orange, kein lebendiges Grün, wir pinselten keine ulkigen Figuren an die Wand – und dennoch war es die schönste Malstunde meines Lebens.
Am Ende lächelte uns das Wohnzimmer in einem strahlenden Weiß an. Alle sahen zufrieden aus. Masoud legte seinen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Es war wie eine Erlösung.
MASOUD Ich starrte auf die Wand, die wir vor einigen Wochen gestrichen hatten. Wie sehr hatten wir uns ins Zeug gelegt, um das Zimmer heller und freundlicher zu machen. Damit es mir nicht peinlich sein müsste – damit Carina sich bei mir wohlfühlte. Doch alles umsonst. Das zwischen ihr und mir war endgültig vorbei.
Wenige Tage nach unserem kleinen Zerwürfnis hatten mich Carinas Eltern zum Mittagessen eingeladen. Es gab Kartoffelauflauf – und eine Überraschung zum Nachtisch. Etwas, wovon ich niemals geträumt hatte: Sie fragten mich, ob ich mit ihnen nach Südfrankreich in den Urlaub fahren mochte. Für sämtliche Kosten würden sie aufkommen. Ich traute meinen eigenen Ohren nicht. Ich? Carina? Südfrankreich? Urlaub? Das klang unglaublich. Ich hätte am liebsten sofort zugesagt, doch zuerst wollte ich den anderen von dieser tollen Nachricht erzählen und Madar um Erlaubnis bitten. Sie würde sicherlich nichts dagegen haben.
Um keine Zeit zu verlieren, schnappte ich mir gleich mein Fahrrad und strampelte so schnell ich konnte nach Hause. Keuchend kam ich an, riss die Tür auf und rannte ins Wohnzimmer. Aber irgendetwas stimmte nicht: Milad, Mojtaba und Madar saßen stumm da. Auf dem Esstisch lag ein dicker Brief, der sehr offiziell aussah. Ein erster Blick auf den Briefkopf verriet sofort, worum es ging. Wir hatten endlich eine Antwort vom Bundesamt erhalten, das darüber entschied, ob wir in Deutschland bleiben durften. Noch schnaufend von der Fahrradfahrt, beugte ich mich vorsichtig über den Brief und versuchte herauszufinden, was drinstand. Ich hatte immer noch große Probleme mit meinem Deutsch, aber eines verstand ich sehr gut: » ASYLANTRAG ABGELEHNT .«
Diese eine Zeile löste in mir eine panische Angst aus. Mussten wir nun Deutschland verlassen? Und: Warum hatten sie uns abgelehnt? Ich schaute Madar erwartungsvoll an, doch ihr leerer Blick erschütterte mich noch mehr. Das Einzige, das sie herausbrachte, war, dass sie Christa Bescheid gegeben habe und sie bald hierherkomme. Ich konnte nicht so lange warten. Noch vor einer Minute hatte ich mich auf den Urlaub mit Carina gefreut, jetzt wusste ich nicht einmal, ob wir hierbleiben durften.
Ich schnappte mir das Wörterbuch aus dem Schlafzimmer und machte mich ans Übersetzen. Der Brief war in einer völlig unverständlichen Sprache verfasst und hatte zig Seiten. Ich begann mit dem Fettgedruckten. »… aufgefordert … Deutschland … 1 Monat … verlassen … in den Iran … abgeschoben …«
Den Sinn der Wörter begriff ich zwar, aber ich wollte sie einfach nicht wahrhaben. Wir konnten doch nicht mehr zurück. Sie würden Madar ins Gefängnis stecken und uns jahrelang voneinander trennen. In diesem Augenblick klopfte es an unserer Tür. Christa war da. Madar hastete zu ihr und umarmte sie so fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. Ich rief ungeduldig »1 Monat … abgelehnt … nur 1 Monat …«. Doch Christa ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie setzte sich an den Esstisch und las den Brief. Einige Zeit verging, bis sie uns wieder anschaute. In bedächtigem Ton sagte sie: »Keine Sorge, ich kenne einen Anwalt, der euch bestimmt helfen kann.«
Sie fuhr uns sofort zu ihm. Er hieß Wolfgang Stern, war schlank, groß und wirkte sehr besonnen. Nachdem er den Brief überflogen hatte, beruhigte er uns und erklärte, dass es fast allen Asylbewerbern so ergehe. Es sei üblich, dass das Bundesamt den
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