Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Asylantrag ablehne. Er könne aber beim Verwaltungsgericht Münster einen Widerspruch einlegen. Wir müssten Deutschland bis zur Entscheidung des Gerichts nicht verlassen. Allerdings werde es wahrscheinlich mehrere Jahre dauern, bis ein Richter unseren Fall behandle.
Seine Worte wirkten Wunder und erleichtert lehnte ich mich zurück. Wir konnten also vorerst aufatmen. Und ich würde Carina wiedersehen.
Der freundliche Herr Stern schlug Madar vor, sein Honorar in Raten zu zahlen, und sie nahm das Angebot dankend an. Denn ohne Aufenthaltsgenehmigung durfte sie nicht arbeiten, und wir mussten ab jetzt von den knapp zweitausend Mark staatlicher Unterstützung, die wir zu viert monatlich für Nahrungsmittel, Kleidung, Körperpflege und Stromverbrauch erhielten, noch etwas sparen. Doch in diesem Augenblick war mir das egal. Das würde schon irgendwie klappen. Für mich war es jetzt viel wichtiger, zu wissen, ob ich mit Carina mitfahren durfte. Erwartungsvoll fragte ich Herrn Stern und wünschte, dass er mir auch in dieser Sache Hoffnung machen konnte. Aber sein Kopfschütteln verriet alles. Er sagte, dass es unmöglich sei, eine Genehmigung für einen Auslandsaufenthalt zu bekommen. Man ließe mich nicht wieder ins Land hinein, wenn ich unerlaubt die Grenze überqueren würde. Wie sollte ich das Carina sagen?
Je länger ich auf die weiße Wand stierte, desto mehr glaubte ich, sie glotzte zurück. Am liebsten hätte ich sie mit roter Farbe übermalt, um ja nicht mehr daran erinnert zu werden, wie viel wir wegen Carina alles auf uns genommen hatten. Frustriert wandte ich mich ab. Auf dem Tisch lag die Papierblume, die ich für sie als Willkommensgeschenk gebastelt hatte. Ich griff danach und schleuderte sie gegen die Wand. Zerknittert purzelte sie herunter und blieb genauso ramponiert liegen, wie ich mich gerade fühlte.
Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen und Madar kam mit Einkaufstüten in der Hand herein.
»Masoud, was ist denn los?«, fragte sie besorgt, noch ohne überhaupt die Einkäufe abzustellen.
»Nichts«, brummte ich und senkte meinen Kopf. Ich vermied es, ihr in die Augen zu schauen.
»Wieso bist du dann jetzt schon zu Hause? Die dritte Schulstunde hat doch gerade erst angefangen.«
»Ich hatte keine Lust mehr.«
»Ist irgendetwas passiert?« Madar kam näher und setzte die Tüten auf dem Esstisch ab. Sie stand direkt vor mir, und am liebsten hätte ich sie sofort umarmt, doch irgendetwas hinderte mich daran. Ich schwieg weiterhin und schaute auf den Boden. »Und wie war es denn, Carina wiederzusehen?«
Als ich ihren Namen hörte, gab etwas in mir nach. Ich umschlang Madar fest und drückte mein Gesicht gegen ihre sanfte Brust.
»Ach, das ist es also«, sagte sie mit einem leichten Seufzer. »Was hat sie denn Schlimmes gemacht?«
Zögerlich fing ich an zu erzählen: »Ich bin heute in der ersten großen Pause auf dem Schulhof zu ihr gegangen. Ich hatte das Gefühl, sie wollte mir aus dem Weg gehen. Dann hat sie mir auch den Grund dafür verraten: Im Urlaub hat sie einen Jungen kennengelernt, mit dem sie jetzt zusammen ist.« Ich vergrub mein Gesicht noch tiefer in Madars Brust.
» Bemiram Elahi! «, flüsterte sie mir ins Ohr und streichelte mein Haar. Einige stille Sekunden vergingen. »Hast du das für Carina gebastelt?«, fragte sie mich. Ihr Arm zeigte auf die zerknitterte Papierblume, die auf dem Boden lag.
»Ja, aber sie wollte sie nicht«, flüsterte ich.
Madar setzte einen leichten Schritt zurück, und während ihre Hände auf meinen Schultern ruhten, schaute sie mich fest an. Dann sprach sie sehr ernst zu mir. Es war der gleiche Ton wie in dem Moment, als sie uns erzählt hatte, dass wir den Iran verlassen müssten: » Asisam , sei nicht so traurig. Auch wenn du enttäuscht bist, ist es gut, dass du schon jetzt Erfahrungen mit Mädchen sammelst. Euer Vater war mein erster Freund. Um mit ihm zusammen sein zu dürfen, musste ich ihn heiraten. Das geht im Iran nicht anders. Ich habe mich durch die Ehe ein Leben lang gebunden. Glaub mir: Das ist nicht besser!«
5
Pedar kommt und muss wieder gehen
MOJTABA Zweieinhalb Jahre war es jetzt her, dass wir unsere Heimat verlassen hatten. Und seitdem war sie immer weiter aus unserem Alltag verschwunden. Nur heute kehrte plötzlich alles wieder zurück: Der Iran stand direkt vor mir in Form eines reich gedeckten Tisches, von dem ich meine gierigen Blicke keine Sekunde abwenden wollte. Er hatte sich in ein buntes Mosaik aus Leckereien verwandelt:
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