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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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nicht zu bemerken. Wir waren wie zwei miteinander verheiratete Leichen.«
    »Schon kurz nach unserer Hochzeit stellte ich fest, dass die Ehe ein Fehler war. Doch es war bereits zu spät. Ihr, Asisanam , wart da schon auf der Welt, und es gab keinen Weg für mich, aus dieser Bindung herauszukommen, ohne euch zu verlieren. Wisst ihr noch, als ich damals eine Woche verreist war? Ihr wart sechs und acht Jahre alt. In Wirklichkeit war ich zu euren Großeltern gegangen – mit dem festen Vorhaben, dieser Beziehung ein Ende zu setzen. Aber ich brachte es nicht über mich. Die grausamen Gesetze hielten mich davon ab. Hätte ich mich tatsächlich scheiden lassen, wäre das alleinige Sorgerecht an euren Vater gegangen. Er hätte eine neue Frau geheiratet und diese Fremde wäre eure Mutter geworden. Dieser Gedanke war für mich unvorstellbar. Und außerdem wäre ich eine Biewe geworden: Eine ›verbrauchte Frau‹, die von der Gesellschaft geächtet wird. Also kehrte ich zu Pedar zurück und setzte die Maske der Zufriedenheit wieder auf.«
    Ich war völlig durcheinander. Madars Erzählungen gaben mir das Gefühl, als wären unser Leben im Iran und alle meine Erinnerungen daran unecht gewesen: Als hätte jemand im Fotoalbum alle Bilder durch neue ersetzt oder im Schattentheater plötzlich das Licht angemacht.
    »Aber wieso hast du uns denn nichts gesagt?«, fragte ich. »Zumindest als wir dann in Deutschland waren?«
    Madar schaute mich jetzt direkt an: »Ich weiß, dass deine Brüder und du Pedar lieb habt. Hätte er vorher von meiner Entscheidung erfahren, wäre er vielleicht in ein anderes Land als Deutschland geflüchtet. Dann hätte ich euch euren Vater genommen. Und das hätte ich mir niemals verziehen.
    Drei Wochen später waren Masoud, Mojtaba und ich mit unseren Hausaufgaben beschäftigt, als es plötzlich klopfte.
    »Ich mach schon auf«, sagte ich und trabte zur Tür. Als ich sie öffnete, stockte mir der Atem. Vor mir stand Pedar und lächelte. In der Hand hielt er einen großen Blumenstrauß.
    » Salam , Pessar jan  – mein Sohn.«
    » Salam «, grüßte ich zurück, doch sonst brachte ich kein weiteres Wort über die Lippen.
    »Darf ich reinkommen?«
    »Ehm, klar! Komm rein.« Ich lief in Richtung Wohnzimmer und rief: »Guckt mal, wer hier ist!« Als er den Raum betrat, sprangen Masoud und Mojtaba überrascht hoch, grüßten ihn dann aber herzlich.
    »Ist Madar zu Hause?«
    »Nein, sie ist mit einer Freundin für ein paar Stunden weg«, antwortete Masoud.
    »Setz dich doch!«, sagte Mojtaba.
    Für eine Weile sprach niemand. Wir hatten uns seit dem Vorfall in Hannover nicht mehr gesehen. Und alles, was wir in den letzten Wochen von ihm mitbekommen hatten, waren Telefonate, bei denen sich unsere Eltern heftig gestritten hatten. Außerdem merkte ich, dass Madars Worte eine unsichtbare Mauer zwischen Pedar und mir gezogen hatten. Hatte er eine Ahnung, wie unglücklich er sie gemacht hatte? Ich spürte, wie sich etwas – vielleicht Wut – in mir regte und wollte ihn ausfragen, doch dann sah ich sein Gesicht, das uns anlächelte – und schwieg.
    Pedar hatte sich herausgeputzt. Während er bei Scholeh mit einem Stoppelbart aufgetaucht war, strahlte heute sein glatt rasiertes Gesicht. Außerdem trug er eine braune Stoffhose mit einem karierten Hemd, was für ihn sehr ungewöhnlich war. Sein Blick wanderte missbilligend durch die Wohnung und blieb an dem alten Sofa haften, auf dem er saß. »Hier wohnt ihr also? Es ist …«
    »Du hättest sehen müssen, wie es am Anfang hier ausgesehen hat. Ich habe von meinem eigenen Geld Farbe gekauft und wir haben das Wohnzimmer neu gestrichen«, erzählte Mojtaba stolz.
    »Gut gemacht, mein großer Junge.« Und an alle gerichtet, fragte er: »Erzählt mir, wie ist es euch ergangen?«
    »Ich bin jetzt in der sechsten Klasse des Gymnasiums«, berichtete ich grinsend. »Das ist die beste Schule.«
    »Als ich dich, Milad jan , im Iran das letzte Mal sah, warst du noch einen Kopf kleiner. Du bist bald so groß wie deine Brüder.«
    »Ich traue mich jetzt auch, Hunde anzufassen. Der Hund von unserem Hausmeister – Floppy – liebt es, wenn ich mit ihm Ballfangen spiele.«
    »Hunde sind nicht gut, mein Sohn. Sie sind dreckig.«
    Ich wagte es nicht, Pedar zu widersprechen.
    Dann holte Masoud unser Fotoalbum. Christa hatte uns dreien, als wir auf die Realschule beziehungsweise das Gymnasium gewechselt waren, eine Kamera geschenkt, und besonders Masoud liebte es, bei allen

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