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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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Satz.
    »Was?«, fragte Madar völlig verdutzt.
    »Jetzt tu doch nicht so. Auf dieser Party hast du Alkohol getrunken und diesen Mann geküsst. Und für so etwas zerstörst du unsere Familie. Was für eine Mutter bist du eigentlich?«
    Nun schrie auch Madar: »Du hast schon damals im Iran nicht verstanden, was unser Problem war. Und du tust es auch jetzt nicht. In unserer Ehe gab es keinen Funken Liebe! Und das willst du fortsetzen? Diese sogenannte Ehe.« Die letzten Worte spuckte Madar verächtlich raus.
    Mojtaba ging verzweifelt dazwischen. »Madar, Pedar, bitte hört auf«, flehte er sie an.
    Doch sie nahmen ihn nicht wahr.
    »Du hast so viele Jahre meines Lebens zerstört. Du warst mir kein Mann. Und du warst unseren Kindern kein Vater.«
    »Frau, was redest du da? Sei still, sei endlich still!«
    Ich hielt das nicht aus. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten und wäre weggerannt.
    »Du gehst jetzt oder ich werde die Polizei rufen!«
    »Was? Wie kannst du so etwas sagen?«
    Madar nahm den Telefonhörer in die Hand. Da packte Pedar sie fest am Arm.
    »Du zerstörst alles!«, fauchte er.
    Madar versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Mojtaba zog an Pedar, während ihm Tränen in den Augen standen. Masoud probierte ebenfalls die beiden zu trennen. Als Madar sich endlich befreit hatte, lief sie direkt zum Sofatisch und packte Pedars Tasche und den Blumenstrauß. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, rannte sie zur Haustür und warf alles nach draußen. »Du wirst jetzt gehen. Tu es, wenn dir etwas an unseren Kindern liegt.«
    Ich hielt das nicht mehr aus. Ich wollte nur noch, dass unser Vater verschwand. Sie sollten sich nicht mehr streiten. Ich sah, wie Pedar durch die Haustür trat und hörte mich dabei nur noch flüstern: »Pedar, geh! Bitte, geh!«
    MASOUD Es war, als wäre Milad zu Eis erstarrt. Stundenlang kauerte er am Fenster und starrte wortlos auf den Hof. In seinem Blick spiegelte sich Angst, die in Panik umschlug, sobald ein Auto vorfuhr. Der Gedanke, er könnte von uns fortgerissen werden, hatte vollständig von ihm Besitz ergriffen. Wir versuchten ihn zu beruhigen, ihm zu versichern, dass es bestimmt niemals so weit kommen würde. Aber versprechen konnten wir es nicht.
    Kaum eine Woche nachdem Pedar mit dem Blumenstrauß in der Tür gestanden hatte reichte Madar beim Amtsgericht Tecklenburg die Scheidung ein. Sie wollte ihre neu gewonnene Freiheit nicht wieder aufgeben. Und das, war sie sich sicher, ging nur ohne ihn. Unser Vater tat uns dabei zwar leid: Zweieinhalb Jahre lang hatte er sich nach uns gesehnt, eine gefährliche Flucht auf sich genommen und war nun genau wie wir am Anfang völlig fremd in Deutschland. Aber trotzdem wollten wir auf keinen Fall mit ihm zusammenleben, aus Angst vor endlosen Streitereien, wie wir sie schon bei den letzten Begegnungen ertragen mussten. Es hatte so lange gedauert, bis wir vier mit unserer neuen Heimat Frieden geschlossen hatten. Und den wollten wir um jeden Preis bewahren.
    Pedar sah das natürlich völlig anders. Er wehrte sich gegen die Scheidung und verlangte, dass das iranische Recht anzuwenden sei – sie beide seien schließlich Iraner. Deshalb sollten sich die deutschen Gerichte aus der Sache heraushalten. Was zunächst einmal nach einem unbeholfenen und verzweifelten Versuch aussah, eine Trennung abzuwenden, entpuppte sich als verheerender Albtraum. Das Amtsgericht stimmte nämlich Pedar teilweise zu und bestätigte das Unglaubliche: dass das iranische Recht für diesen Fall tatsächlich gelte. Der Grund dafür sei ein völkerrechtliches Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien aus dem Jahr 1929, das noch immer privatrechtliche Belange zwischen iranischen Staatsbürgern in Deutschland regle. Das bedeute, dass auf Familienangelegenheiten das Recht der Islamischen Republik Iran angewandt werden müsse.
    Im Iran hatte unsere Mutter gegen ein patriarchalisches Regime gekämpft, das Frauen Männern rigide unterordnet. Sie führte einen Kampf mit einem übermächtigen Gegner, den sie letztendlich in ihrer Heimat nicht gewinnen konnte. So war ihr keine andere Wahl geblieben, als vor dem repressiven System – und ihrer eigenen Vergangenheit – davonzulaufen. Doch nun holten beide sie wieder ein.
    Nach iranischem Recht war es für sie unmöglich, sich von Pedar zu trennen. Die Ehescheidung unterliegt der religiösen Gerichtsbarkeit, den sogenannten Scharia-Gerichten. Die Scharia, das islamische

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