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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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für mich undurchschaubar. Noch schwieriger schien mir das Mienenspiel. Iranische Tänzer sind nämlich wie versierte Schauspieler. Sie können mit wenigen Gesichtszügen eine Fülle von Gefühlen auszudrücken: Freude, Sinnlichkeit, Anziehung, Ablehnung, Stolz und vor allem Humor.
    Vor einigen Jahren, ich musste ungefähr acht gewesen sein, veranstaltete mein Onkel, Da-i Ali, eine Tanzfeier. Er taufte den Abend Wilder Westen , denn es sollten nur europäische und amerikanische Lieder gespielt werden. Eigentlich hatten die Mollas ausländische Musik verboten, aber Da-i Ali hatte reihenweise solcher Kassetten in seinem Schrank – vor allem von seiner Lieblingsband Modern Talking. Die Feier fand in Mamanis Wohnzimmer statt. Alle Fenster waren verschlossen und die Vorhänge zugezogen, um uns vor den Augen und Ohren der iranischen Sittenwächter zu schützen. So tanzten Da-i Ali und seine Freunde im Halbdunkel, und das auf eine für mich völlig befremdliche Art und Weise. Als ich ihm meine Verwirrung gestand, nahm er mich amüsiert zur Seite und riet, ich solle einfach irgendwie Arme und Beine bewegen – die im Westen hätten auch nicht mehr drauf. Mittlerweile war ich der Meinung, dass nicht Arm- und Beinbewegung den großen Unterschied zwischen persischem und westlichem Tanz ausmachten, sondern das gefühlsbetonte Mienenspiel.
    Daran fehlte es heute Abend nicht. Ich lehnte mich beobachtend zurück und freute mich darüber, dass ich tatsächlich in Ruhe gelassen wurde. Doch auf einmal gab es einen heftigen Knall. Erschrocken riss ich die Augen auf. Was war das? Es hatte sich wie eine zugeschlagene Tür angehört. Ich schaute herüber zu Milad und Masoud. Kerzengrade saßen sie auf ihren Stühlen und horchten. Dem Knall folgte ein polterndes Brüllen. Dann kam eine Frauenstimme hinzu. Erst klang sie dumpf, dann wurde sie schnell lauter, bis sie sich ebenfalls zu einem anhaltenden Schreien steigerte. Alles hörte sich nach einem Streit zwischen unseren Eltern an. Ich sprang auf und wollte nach ihnen suchen, doch das war nicht mehr nötig: Madar bäumte sich plötzlich im Türrahmen auf. Die tiefen Furchen auf ihrer Stirn bedeuteten nichts Gutes. Die Musik erlosch und alle Augen starrten sie an. Es war totenstill, als hätte ein mächtiger Sog jede Schalwelle verschluckt.
    » Batscheha , macht euch fertig, wir verschwinden!«, krächzte sie.
    Wieso? , wollte ich fragen, doch ich bekam keinen Ton heraus.
    Madar schnappte ihre Handtasche, zog sich ihren Pullover über und drängte uns mit strengen Blicken aufzustehen.
    In diesem Moment stampfte Pedar eilig ins Wohnzimmer. »Ich lasse nicht zu, dass du unser Leben zerstörst!«, polterte er.
    Madar machte unbeirrt weiter und schob uns in Richtung Flur, wo unsere Schuhe standen.
    Er folgte brüllend: »Was denkst du dir eigentlich? Das kannst du nicht alleine entscheiden.«
    Madar schüttelte nur unaufhörlich den Kopf. Sie sah sehr wütend aus.
    »Was ist los?«, fragte ich bettelnd, aber niemand hörte mich.
    »Du bist fremdgegangen! Ist es so? Sag es mir! Hast du einen anderen Mann? Hast du mich all die Zeit über betrogen?«
    Die Tür ging auf und Madar machte Anstalten rauszugehen. »Wir müssen weg. Euer Vater hat sich nicht mehr unter Kontrolle und blamiert uns vor allen anderen. Er braucht Zeit zum Nachdenken.« Ich hatte meine Schuhe erst halb angezogen, trotzdem packte sie meinen Arm und zog mich mit hinaus. Scholeh, die uns aufhalten wollte, wurde von ihr mit ähnlichen Begründungen abgewimmelt. Ehe ich mich versah, hatten wir vier die Wohnung verlassen. Hinter mir hörte ich Pedar rufen: »Antworte endlich, ist es wegen eines anderen Mannes?«
    Und plötzlich schwebte ich, beobachtete alles von oben. Wir liefen davon – schon wieder! Aber diesmal vor Pedar, vor unserem eigenen Vater. Ich sah ihn an der Tür, wie er uns hilflos nachschaute. Er wirkte alt, hatte dunkle Ringe unter den Augen und trug abgewetzte Kleidung. Wir ließen ihn allein, nach zweieinhalb Jahren sehnsüchtigen Wartens. Es zerriss mir das Herz, ich wollte nicht gehen. Genau wie bei unserer Flucht aus dem Iran verlangte Madar etwas, das mir zunächst völlig absurd erschien. Aber bislang hatte sie immer recht gehabt. Ich sah mich weglaufen und trotzdem blieb ein Teil von mir bei Pedar.
    MILAD Ich drückte meinen Kopf in die weichen Sitze des Zuges und schwieg. Wir waren auf dem Weg von der Feier nach Hause. Während draußen die dunklen Felder still vorbeizogen, tobte es in meinem Innern.

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