Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
noch wehmütig an die schöne Zeit gedacht, die wir mit Timo und Dario hatten, an unser Konzert und die täglichen Albereien und Späße. Doch bald fand ich mich damit ab, dass das alles nur ein kleines, fröhliches Zwischenspiel gewesen war. Eine kurze Unterbrechung unseres angsterfüllten und unsicheren Lebens. Es hatte in dem Moment begonnen, als wir vor den Pasdaran in einer Teheraner Wohnung untertauchen mussten. Damals war ich jedes Mal zusammengezuckt, wenn das Metalltor aufsprang und ich dahinter die grünen Revolutionswächter befürchtete. Heute quälten mich Träume von schwarzen Gestalten, die unsere Barackentür aufbrachen, um uns in jenes Land zu verschleppen, aus dem wir geflüchtet waren. Manchmal überkam mich die Idee, wieder unterzutauchen. Aber wie ging es danach weiter? Nein, dieses Mal konnten wir nicht fliehen. Dafür waren wir alle zu erschöpft. Außerdem wollten wir nicht wieder alles verlieren.
Heute mussten wir erneut unseren Mut unter Beweis stellen. Die Ausländerbehörde hatte uns zu sich zitiert. Wie immer verrieten sie nicht, worum es sich genau handelte: »Ihre Aufenthaltsangelegenheit«, das war alles an Informationen, die sie uns vorab zubilligten. Aus Erfahrung wusste ich aber, dass solche Termine niemals etwas Gutes bedeuteten.
Mein Blick wanderte zum Fenster in Madars Zimmer. Draußen sah ich die rauen und gefurchten Pappeln, die unsere Baracke umgaben. Es war ein windiger Herbsttag und ihre nur noch schütter belaubten Wipfel zitterten mit jedem Windstoß. Auf einmal fühlte sich der Türrahmen an meiner Schulter kalt und hart an. Ich stieß mich ab und stellte mich aufrecht hin. Ein Schauder überlief meinen Körper und ich merkte, dass er genauso zitterte wie die Bäume draußen.
Das Gebäude der Ausländerbehörde Steinfurt stand da wie ein gewaltiger Fels. Mittlerweile waren Gewitterwolken aufgezogen und färbten den Himmel stahlgrau. Der rauschende Regen hatte uns auf dem Weg hierher durchnässt. Wir meldeten uns am Empfang an, und als wir von zwei Angestellten abgeholt wurden, tröpfelte mir noch Wasser von den Haaren ins Gesicht.
Es war ungewöhnlich, dass sich uns gleich zwei Sachbearbeiter widmeten. Eine dürre, knochige Frau, die wir noch nie gesehen hatten, stellte sich als die Leiterin der Ausländerbehörde vor. Der andere war ein junger, glatt rasierter Mann. Wir folgten ihnen in einen Besprechungsraum, der fast leer war. Seine kahlen, fensterlosen Wände umgaben einen großen rechteckigen Holztisch, der von Stühlen flankiert wurde. Wir vier setzten uns nebeneinander hin und die beiden nahmen auf zwei Stühlen gegenüber Platz. Hinter ihnen stand eine gelbgrüne Zimmerpflanze aus Plastik, die sie mit ihren Stühlen achtlos gegen die Wand drückten.
Früher hatte ich mich noch dazu gezwungen, ein gekünsteltes Lächeln aufzusetzen, hatte mir eingeredet, die Sachbearbeiter dadurch milde stimmen zu können. Mittlerweile schaute ich sie nur mit regloser Miene an. Genauso, wie sie uns anschauten.
Die Frau schob einige Formulare über den Tisch. »Sie müssen das hier unterschreiben.«
»Was ist das?«, fragte Madar.
»Das sind Einwilligungserklärungen. Sie besagen, dass Sie freiwillig in den Iran zurückreisen möchten. Damit werden wir iranische Pässe beantragen, um Sie in Ihre Heimat zurückschicken zu können.«
Madar legte ihre Hand auf die Formulare und rückte sie von uns weg. Es wurde still. Sekunden vergingen, aber niemand sagte etwas. Wir saßen dort vermutlich kaum länger als eine Minute, aber es war bis dahin die längste meines Lebens. Die beiden starrten uns an. Die Luft wurde schwül, beinahe fest. Das Atmen fiel mir schwer.
»Wir unterschreiben niemals!«, sagte Madar ungehalten. Sie sprach mir aus der Seele und der Druck auf meiner Brust nahm etwas ab. »Ich habe das Ihren Kollegen schon tausend Mal erklärt. Wir können nicht zurück in den Iran. Wieso verstehen Sie das nicht? Man wird mich dort verhaften. Sie wissen doch gut über dieses verfluchte Regime Bescheid. In den iranischen Gefängnissen sterben Unzählige. Vielleicht werde ich die Nächste sein. Und wenn nicht, trennen sie mich jahrelang von meinen Kindern. Haben Sie Kinder?«
Die beiden reagierten nicht auf die Frage. Sie wollten uns um jeden Preis loswerden und dazu brauchten sie unsere Unterschriften, da der Iran keine Zwangsabschiebungen akzeptiert. Aber wir würden nicht unterschreiben. Wir hatten nicht seit Jahren gekämpft, um jetzt einfach so aufzugeben.
»Haben Sie
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