Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
gleich hatte er mich. Der schwarze Handschuh kam mit gespreizten Fingern auf mich zu. Wie eine giftige Spinne, die sich ihrer in die Enge getriebenen Beute näherte. Mit bebender Brust presste ich mich immer wieder gegen die Wand. Ein Schrei kroch meine Kehle empor, aber mir versagte die Stimme. Ich konnte nicht schreien, ich konnte nicht weglaufen, ich konnte Madar nicht helfen.
Plötzlich Schwärze. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde es still, dann öffneten sich meine Augen. Heftig schnaufend sah ich mich um. Milad und Masoud schliefen und im Flur war niemand. Es war auch kein Geräusch zu hören. Ich atmete mehrere Male tief durch, bis ich mich etwas beruhigte. Mein T-Shirt war von Schweiß durchtränkt und mir tat der Kopf weh. Ich richtete mich auf, zog die Beine an und drückte die Knie wie einen Schraubstock gegen die stechenden Schläfen.
Seitdem das Gericht unseren Asylantrag abgelehnt hatte, waren mittlerweile eineinhalb Jahre vergangen. Man sagt, die Zeit heile alle Wunden, aber unsere klafften größer und schmerzhafter als je zuvor. In den letzten Monaten hatten meine Albträume zugenommen und ich wachte immer häufiger mit Kopfschmerzen auf. Christa hatte uns vor den Nacht-und-Nebel-Aktionen der Polizei gewarnt, aber was konnten wir schon dagegen tun? Erst vor zwei Monaten hatte ich gehört, wie eine Familie im Schlaf überrascht worden war. Die Mutter war zwar nicht zu Hause gewesen, trotzdem hatte man die Kinder und den Ehemann in ein Flugzeug gesetzt und abgeschoben. Früher hätte ich nicht geglaubt, dass es hier in Deutschland Menschen gab, die das übers Herz brachten. Aber ich hatte mich getäuscht. Solche Überfälle waren real, sie passierten tagtäglich. Und die Furcht davor verfolgte mich jeden Abend in den Schlaf.
Die Uhr zeigte halb acht. Ich stand auf und sah aus dem Fenster. Es dämmerte bereits. Milad und Masoud atmeten noch tief, als ich an ihnen vorbei in den Flur tappte. Die Wohnungstür war verschlossen, nur der Wind blies säuselnd durch den unteren Spalt und kühlte meine Zehen. Ich musste nach Madar schauen. Ihre Tür stand offen, wie jede Nacht in letzter Zeit. Sie sagte zwar nichts, aber ich wusste, dass sie Angst hatte. Vor allem davor, uns drei gefesselt zu sehen, ehe sie einschreiten könnte. Ich blieb auf der Schwelle stehen und lehnte mich gegen den Türrahmen. Sie lag friedlich schlafend in ihrem altmodischen französischen Bett, das gerade so ins Zimmer passte, und hatte sich in eine helle Decke gemummelt. Sie so zu sehen beruhigte mich, aber ich wusste, dass der Schlaf mir etwas vorgaukelte. Die Ruhe hatte Madars Leben schon lange verlassen. Sie war in den letzten eineinhalb Jahren gealtert. Ihr Haar hatte begonnen grau zu werden und die Augen waren in dunklen Höhlen versunken. Als kleiner Junge war mir Madar wie ein Übermensch vorgekommen, dem nichts etwas anhaben könnte. Die tiefen Furchen, die jetzt ihr Gesicht durchzogen, bewiesen aber, dass das ein kindlicher Irrtum gewesen war.
Der Richter des Verwaltungsgerichts hatte uns mit seiner abweisenden Entscheidung zu einem Leben in Angst verurteilt. Mit unserem Anwalt klagten wir gegen dieses Urteil. Gericht für Gericht, Richter für Richter durchliefen wir alle Instanzen: angefangen beim Oberverwaltungsgericht, bis hin zum Bundesverfassungsgericht und schließlich dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eineinhalb Jahre dauerte das nun schon. Eineinhalb quälende Jahre, die nichts gebracht hatten außer Aktenbergen und hohen Schulden bei unserem Anwalt. Niemand wollte uns Gehör schenken, kein Richter sah, wie es uns erging. Dabei hatte uns Herr Stern ehrlicherweise gestanden, dass die Chance einer Entscheidungsrevision sehr klein sei. Denn niemand setze sich noch einmal mit unserer Geschichte auseinander. Man prüfe nur auf Verfahrensfehler während der Verhandlung beim Verwaltungsgericht. Und einen Verfahrensfehler zu beweisen, so hatte er zugegeben, sei fast unmöglich. Trotzdem nahmen wir diese Tortur auf uns, denn jede Klage brachte einige Monate Abschiebeschutz – einige Monate ohne Gefahr, nachts entführt zu werden. Wir hatten sogar mithilfe von Lehrern und Mitschülern Unterschriften gesammelt. Hunderte von Menschen verlangten schwarz auf weiß, dass wir hierblieben. Aber auch das verpuffte wirkungslos. Es war, als rannten wir die ganze Zeit durch ein Gewirr enger Gassen, auf der Suche nach Rettung. Doch jede Tür, an der wir rüttelten, blieb verschlossen.
Am Anfang hatte ich oft
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