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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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schaute durch sie hindurch.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit beendete Madar ihren Vortrag. Der Richter erhob sich. Er blickte uns über seine Brille hinweg an. »Das, was Sie hier anführen, bewirkt keine Änderung meiner Entscheidung. Das Urteil lautet: Die Klage wird abgewiesen. Ihr Asylantrag ist somit rechtmäßig abgelehnt. Sie müssen Deutschland in der gesetzten Frist verlassen. Kommen Sie der Ausreisepflicht nicht freiwillig nach, muss eine Zwangsrückführung erfolgen.«
    MOJTABA Da war doch etwas! Ich riss meine Augen auf und starrte in die Dunkelheit. Nur ein wenig fahles Mondlicht fiel durch das Fenster über meinem Kopf in unser Schlafzimmer. Die rot schimmernde Uhr neben mir zeigte vier Uhr zwanzig. Da ertönte wieder das seltsame Geräusch. Ich richtete mich auf und horchte konzentriert. Aber abgesehen vom Sausen des Windes hinter der Baracke konnte ich nichts hören. Milad und Masoud schienen seelenruhig zu schlafen. Sie lagen auf dem Etagenbett am Ende des Raums, direkt neben der Tür. Ich legte mich auch wieder hin und schloss die Augen.
    Kurz darauf klapperte es laut. Erneut riss ich die Augen auf. Da war etwas, ganz sicher! Es klapperte ein zweites Mal. Die Geräusche kamen von der hölzernen Wohnungstür. Das sind nur die heftigen Windböen, versuchte ich mich zu beruhigen. Doch es wurde noch lauter. Ich setzte mich auf und sah, wie sich Masoud und Milad die Augen rieben. Das Geräusch schwoll zu einem regelrechten Hämmern an. Mein Puls beschleunigte sich. Meine unruhigen Blicke kreuzten Milads und Masouds. Panik ergriff mich. Es war so weit! Sie holten uns! Es klopfte, pochte und hämmerte immer wieder an der Tür. Dann folgte eine letzte heftige Salve von Schlägen, die Tür krachte auf und knallte gegen die Wand.
    Schwere Absätze stampften in den Flur. Durch die offene Zimmertür sah ich, wie dort große gesichtslose Gestalten aufragten. Sie waren zu fünft, sechst oder vielleicht auch siebt. Bei ihrem Anblick kroch mir Kälte den Rücken hoch. Dann zuckten einige Taschenlampen auf und schnitten sich wild kreuzende Schneisen aus Licht in die Dunkelheit. Jetzt erkannte ich die Männer: Sie trugen dunkle Mützen, Stiefel, Waffen und dicke Lederjacken, auf denen POLIZEI stand.
    »Hiermit wird Ihre Abschiebung eingeleitet«, sagte eine Stimme kalt und klar wie eine Maschine.
    Alle meine Muskeln spannten sich an, aber weder ich noch Milad oder Masoud bewegten sich. Dann schrie es aus dem Flur. Es war Madar, die zu uns geeilt war. »Nein! Na! Nein!«, schrie sie immer und immer wieder. Ihre qualvollen Rufe stachen mir ins Herz. Sie versuchte in unser Zimmer zu gelangen, aber zwei der Gestalten stellten sich ihr in den Weg. Mit aller Kraft zog Madar an ihren schwarzen Jacken, aber sie rührten sich nicht vom Fleck. Einer von ihnen griff nach ihr und stieß sie zu Boden. Madar lag bäuchlings da, wie ein achtlos weggeworfenes Kleidungsstück. Derselbe Polizist, der sie gestoßen hatte, beugte sich nun zu ihr, packte ihre Handgelenke und fesselte sie mit dicken Kabelbindern hinter dem Rücken.
    Ich hörte Milad schluchzen. Er atmete stoßweise und brachte nur wirre Laute hervor. Dann schrie Masoud auf: »Madar! Madar!« Zwei der Männer gingen auf meine Brüder los. Einer packte Milad am Arm und zog ihn aus dem Bett. Sein Schluchzen wurde heftiger, aber er wehrte sich nicht. Der andere warf Masouds Decke zur Seite und forderte ihn auf, herunterzukommen.
    »Lasst mich!«, fauchte Madar und wehrte sich dabei mit ihrer ganzen Kraft. »Ich will zu ihnen. Meine Kinder! Lasst mich los!« In dem Moment rammte der Polizist, der sie auf dem Boden hielt, sein Knie in Madars Nacken. Er holte ein Tuch hervor, beträufelte es mit einer Flüssigkeit und presste es auf ihren Mund. Ihre Schreie wurden dumpfer und kurz darauf verstummten sie. Eine Taschenlampe hatte ihr Gesicht fixiert. Ich sah, wie Madar mich anschaute, wie ihre Augen zitterten. In mir zerbrach etwas. Das alles geschah der Frau, deren Gesicht zu meinen ersten Erinnerungen gehörte, die mir immer wieder gezeigt hatte, was Liebe bedeutete. Ich musste etwas tun, aber ich war gelähmt.
    Nun kam eine der schwarzen Gestalten auf mich zu. Er trug dicke Lederhandschuhe. Mit der linken Hand hielt er einen Kabelbinder, mit der rechten wollte er nach mir greifen. Ich kroch auf allen vieren auf dem Bett zurück, weg von ihm, weg von seiner behandschuhten Pranke. Mein Rücken stieß gegen die kalte Wand, weiter konnte ich nicht. Aber der Polizist war fast da,

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