Unfassbar für uns alle
Dann war ich letztendlich mit meinem Jagdeifer ein nützlicher Idiot der ‹roten Socken›...
Ich näherte mich dem Tisch der drei und tat überrascht.
«Das ist ja ’n Zufall: Sie hier, Mister Woerzke...!? Mit Ihrer Frau...» Uhlig, so unsere Absprache, wollte ich noch nie gesehen haben. Ich ging auf Joan zu und küßte ihr die Hand. «Alter Berliner Portiersadel zwar nur, aber immerhin...» Mir fiel ein, daß sie ja kaum drei Worte Deutsch verstand, und ich versuchte es mit meinem Pidgin-English. «I'm not a member of the Prussian...» Gott, was hieß Adel auf Englisch? «...nobility but...» Portiersadel ließ sich nicht übersetzen. Ich begann, fürchterlich zu schwitzen.
William Black sagte etwas auf englisch zu ihr, das ich nicht verstand. Die beiden lachten jedenfalls herzlich.
«Keinen Dienst heute?» Black sah mich ungläubig an.
«Doch... Ich hab mich noch einmal am Tatort umgesehen – Luise Tschupsch, an der Eisenbahnbrücke unten bei Lehnitz – und hatte dann Hunger. Auch Beamte müssen essen.»
«Okay.» Black / Woerzke / Wolmir (ich konnte mich für keinen entscheiden) zeigte auf Gerhard Uhlig, nannte mir seinen Namen und sagte mir, daß das ein alter Klassenkamerad aus Friedrichsheide sei. «Sommer ’34 sind wir beide eingeschult worden. Hier, er hat ein Foto mitgebracht.»
Ich zog meine Jacke aus, hängte sie über den Stuhl, setzte mich und sah mir alles an. Die übliche bräunlich-vergilbte Aufnahme. Der Lehrer in der Mitte. Ein Hindenburg, wenn auch ein bißchen geschrumpft. Alle hielten sie Schultüten in den Händen. Die erste Reihe kniete, die zweite stand. Aus den Ranzen hingen Lappen und Schwamm. Man lernte das Abc ja noch auf Schiefertafeln. Uhlig war deutlich zu erkennen, sah damals schon ein wenig aus wie J. R. Ewing.
«Und das hier bin ich...» Black / Woerzke / Wolmir zeigte auf einen Knaben, der sich neben dem Lehrer plaziert hatte und alle überragte.
«Als Adliger keinen Hauslehrer?» fragte ich.
Er lachte. «‹Ein Volk, ein Reich, ein Führer.› Mein Vater wollte keine Extrawurst für mich.»
«Ah, ja...» Ich gab ihm das Foto zurück. «Dann will ich Sie mal nicht weiter stören... beim Austauschen alter Erinnerungen.»
Der Ober kam, und ich vertiefte mich in die Lektüre der Speisekarte.
«Kannst du dich noch an Bimbo erinnern?» fragte Uhlig.
«Bimbo...?» Black / Woerzke / Wolmir sah auf den Lehnitzsee hinaus, wo ein leeres Schubschiff Richtung Polen seine Furchen zog. Der See war so eklig grau wie ein nasser Scheuerlappen. «Bimbo...? War das der mit der Hasenscharte...?»
Uhlig schüttelte den Kopf. «Das war der Manni Radeland. Bimbo war der Massige mit den Lederhosen. Seine Großeltern wohnten in Garmisch.»
«Mein Gedächtnis...! Es ist so lange her. Erst das Lager, dann die ganze Zeit in den Staaten. Neue Eindrücke, schlimme Eindrücke ...»
«Na, sicher...» Uhlig nickte. «Aber den Stuka, den müßtest du doch noch kennen, der hat doch immer bei euch auf m Schloß gehockt und gebastelt.»
«Ja... Flugzeugmodelle.»
Das ist ja nun kinderleicht, dachte ich, da wäre ich als gänzlich Fremder auch noch drauf gekommen. Daß Stuka Sturzkampfbomber hieß und ein Pimpf mit einem solchen Spitznamen was mit Flugzeugen zu tun haben mußte.
«Genau. Der wollte immer Flieger werden...» Uhlig machte eine kleine Pause, damit sein Gesprächspartner die Pointe selber bringen konnte. #
Doch Black / Woerzke / Wolmir kam nicht darauf, reagierte nur mit einem zustimmenden Lächeln.
«... ausgerechnet Stuka ist bei einem Tieffliegerangriff ums Leben gekommen. Als Flakhelfer...»
«Ja, jetzt erinnere ich mich. Ich war ja zu der Zeit ’ne Zeitlang evakuiert. Bei meiner Tante in Groß Pankow, ’nem Dorf zwischen Pritzwalk und Perleberg, in’er Prignitz oben.»
Immerhin mußte man dem (Amerikaner) lassen, daß er sich sehr geschickt zu verteidigen verstand. Was hatte es aber damit auf sich, daß er sich in der brandenburgischen Geographie so gut auszukennen schien? Das konnte sorgfältiges Kartenstudium sein, wahrscheinlicher schien mir aber doch Uhligs Annahme, daß wir es bei Waldemar v. Woerzke mit Werner Wolmir zu tun hatten.
Sie redeten jetzt über den Lehrer, der den Namen Schierbaum getragen hatte. Da schien Black / Woerzke / Woldemir wieder gut Bescheid zu wissen.
«...Schierbaum – Bierschaum! Haben wir immer gesungen, wenn er draußen war. Und hat fürchterlich nach Knoblauch gestunken. »
Ich konnte ihrem Dialog an dieser Stelle nicht mehr
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