Unfassbar für uns alle
hundertprozentig folgen, denn zuerst kam der Ober, um meine Bestellung aufzunehmen, einmal ‹Professorentoast› bitte, dann versuchte Joan, die sich fürchterlich zu langweilen schien, mit mir ins Gespräch zu kommen.
«You’re born in Berlin?»
«Yes, and I have my family in Berlin. But they have sent me to Oranienburg to built up an new police here, because the police in the former German Democratic Republik was very authori... authoritarian...» Ein Scheißwort war das, und ich schwitzte schlimmer als bei jedem Vorstellungsgespräch, wenn es um die Bewerbung für eine höhere Stelle ging. «Today we have to...» Aufklären ...? Gott, was hieß denn bloß aufklären auf Englisch...!? «... to clear up the fall of the girl friend of your husband.» Es war der reine Horrortrip. Zumal ich mit einem Ohr noch zuhörte, wie Uhlig weiterhin versuchte, Black / Woerzke / Wolmir aufs Glatteis zu führen.
«Am meisten hatte ich später mit Lothar Zülch zu tun. Als ich Kreissekretär geworden bin, habe ich ihn als Betriebsleiter in die ‹F. F. Runge-Chemie› geholt. Trotz seines Sprachfehlers...»
«Mir hat er immer leid getan...»
«Dir...!?» Uhlig bekam geradezu einen Lachanfall. «Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie Schierbaum mal aus der Haut gefahren ist, als du ihn immer nachgemacht hast...?»
«Nein, du... Mein Gedächtnis...»
«Der Lothar hat doch immer so geprustet, gezischt und gespuckt, wenn er ein Z sprechen mußte. Schon bei Zülch, der Arme. Und Schierbaum hat ihn dann immer wieder sagen lassen: ‹In Zermatt zog Zacharis Zülchs Zeitung aus des Zauberers Zylinder.› Du hast neben Zülch gesessen und mit seiner feuchten Aussprache gerufen: ‹Ich hab doch zur Zeit keine Brause bestellt!›»
Black / Woerzke / Wolmir lachte und sagte, daß es ihm heute noch leid täte.
Uhlig tat erstaunt. «Ich dachte, du würdest einen Wutanfall bekommen, wenn ich dich daran erinnere...»
«Wieso ’n Wutanfall...?»
«Weil dir Schierbaum doch ’ne Strafarbeit aufgegeben hat. Hundertmal schreiben: ‹Ich soll meinem Klassenkameraden nicht nachäffen.›»
«Klar, Mensch, ja doch...»
Das ging noch zehn Minuten so, dann warf mir Uhlig einen Blick zu, der nicht eindeutiger hätte sein können: Das ist ein Hochstapler hier, das ist garantiert der falsche Waldemar.
23. Szene
Gelände des Speziallagers Nr. 7
«Ende April 1945 werden die Häftlinge des Nazi-KZs Sachsenhausen endlich befreit – am 10. August 1945 richten die Befreier auf demselben Gelände ihr Lager ein, das Speziallager Nr. 7 des NKWD... Und ich war bei den ersten 2000 Mann dabei... Am 6.Juli, morgens um 7 Uhr, steht ein Kommunist mit roter Armbinde bei uns vor der Tür und bittet mich mitzukommen. Ich soll im Rathaus ein paar Aussagen machen. Meine Mutter ahnt von nichts. Wir wohnten damals im Pförtnerhäuschen der Chemie-Fabrik. Im Schloß waren sowjetische Offiziere. Im Rathaus werde ich von zwei russischen Soldaten in Empfang genommen, durchsucht und trotz meiner Proteste in den Keller gesperrt. Das Wort ‹Werwolf› fällt. Nach ein paar Tagen werden wir nach Weesow gebracht, das ist in der Nähe von Werneuchen. Dort hatten die Russen in Scheunen und Ställen eine Sammelstelle eingerichtet. Auch Gustaf Gründgens ist dabeigewesen. Mit meinen siebzehn Jahren war ich längst nicht der Jüngste. Welche waren vierzehn und fünfzehn, ein Elfjähriger ist mir auch noch in Erinnerung. Wir waren alle nicht einmal verurteilt worden, nur so mitgenommen auf irgendeinen Verdacht hin oder eine Denunziation. Etliche Nazibonzen dabei, Schreibtischtäter, Verbrecher, aber auch völlig harmlose Leute... bis hin zum Widerstandskämpfer gegen die Nazis. Eben alle, die den geplanten Aufbau der DDR irgendwie gefährden konnten.»
Wir standen im oberen Teil des Turms A, der Torkontrolle. Unter uns das Gitter mit dem schmiedeeisernen Spruch ARBEIT MACHT FREI. Hier hatten die Posten gestanden. Mit freiem Schußfeld und freier Sicht, die ganze Längsachse des Lagergeländes entlang. Das KZ Sachsenhausen ruhte quasi als Dreieck auf der Bernauer Straße, die Spitze zeigte nach Norden.
Black / Woerzke / Wolmir hatte mich noch im «Seeblick Lehnitz » gefragt, ob ich nicht Interesse daran hätte, mir einmal von ihm selber zeigen zu lassen, wo er in Sachsenhausen gelebt und gelitten habe und wie ihm das Wunder seiner Flucht gelungen sei. Aber ja...
Warum er das getan hatte...? Ich wußte es nicht. Ob er instinktiv spürte, wie sehr ich ihm mißtraute und daß
Weitere Kostenlose Bücher