Unfassbar für uns alle
aufgeschwemmt aussehen würde, fies und verlebt. Irrtum. Es war ein kleines, liebenswürdiges Männchen, das mich ein wenig an den legendären Fernsehkommissar erinnerte, an Erik Ode.
Ich hatte ihn zusammenscheißen, mit ihm so umspringen wollen wie er mit seinen Kandidaten. Und setzte nach den Begrüßungsfloskeln auch an dazu.
«Jetzt will ich doch mal sehen wie das bei Ihnen selber geht: Flüchten oder Standhalten ¿Also: Sie kennen Luise Tschupsch?»
«Ja...»
«Sie sind von Ihr ausfindig gemacht und angerufen worden?»
«Ja...»
«Und Frau Tschupsch hat Ihnen gedroht, Ihre Frau anzurufen, wenn Sie Ihre Bordellbesuche nicht einstellen würden...?»
«Ja...»
«Und: haben Sie...?»
Sein Schweigen war Antwort genug.
«Stimmt es, daß Sie erledigt sind, daß ENTER-EINS Sie feuert, wenn in den Boulevardblättern überall steht, daß Sie ein Hurenbock sind...?»
«Ja...»
«Und Sie waren vorher?»
«Bevor ich die Idee für ‹ ENTER-EINS - Elektrischer Stuhl›... Da war ich Angestellter im öffentlichen Dienst...»
«Und als was?»
«Als Jugendpfleger, als Bewährungshelfer.»
Was blieb mir da anderes, als loszulachen. «Den Dezernenten möcht ich sehen, der Sie heute noch nimmt.»
«Eben. Aber... Mit meiner Frau, da hat das schon seit Jahren nicht mehr geklappt, und ich bin süchtig nach Sex... Wie andere nach Drogen...»
«Und für ein paar Gramm Heroin bringt man schon Leute um...»
«Ich habe diese Frau Tschupsch nicht erschossen.»
«Und Ihr Alibi?»
Der Großinquisitor stöhnte auf. «Das ist es ja. Ich war zur Tatzeit bei Roxana im Club...»
Der hatte die also gevögelt, und ich... O Gott... Hoffentlich wurde er zu Hause kastriert, wenn seine Frau davon erfuhr. Während ich aufstand und im Zimmer umherwanderte, nannte er mir Zeugen. Roxana, Babsy, Vanessa. Ich hörte gar nicht mehr hin.
«Werden Sie meine Frau auch befragen...?»
«Eigentlich müßte ich... Wir können ja nicht ausschließen, daß Luise Tschupsch nicht von einer der Ehefrauen erschossen worden ist... Bei einem Erpressungsversuch womöglich.»
Wenn er dich jetzt zu bestechen versucht, dachte ich, dann tue ich es wirklich.
Doch der Großinquisitor fiel nur in sich zusammen und bat um ein Glas Wasser, um seine anderthalb Valium zu schlucken.
«Sie können gehen », sagte ich.
Er stand auf und umarmte mich.
Das ganze Leben war zu einer Vorabendserie verkommen.
Kaum war der Großinquisitor gegangen, klingelte das Telefon. Ich nahm ab und murmelte müde meinen Spruch.
«Hier spricht Gerhard Uhlig.»
Ich kannte keinen Gerhard Uhlig. «Ja, bitte...»
«Ich bin ein ehemaliger Klassenkamerad von Woerzke, von Waldemar...»
Ich war sofort hellwach. «Wunderbar...» Das war ein Geschenk des Himmels, das ersparte mir tagelanges Suchen. «Und was ist der Grund Ihres...?»
«Ich muß einmal mit Ihnen reden. Nicht am Telefon, unter vier Augen.»
«Ja, gerne...»
«Ich wohne oben in Lindow, an der Klosterruine.»
21. Szene
Am Wutzsee
Eines brachte der Beruf des Kriminalbeamten sicher mit sich: daß man viele Menschen kennenlernte. Es gab Fälle, in denen eine Mordkommission über 500 Hinweisen nachzugehen hatte. Ganz so viele waren es zwar bei Luise Tschupsch derzeit noch lange nicht, und dennoch fiel es mir schon schwer, die bislang angefallenen Zeugen und möglichen Täter sauber auseinanderzuhalten. Um das besser zu schaffen, versuchte ich, bei ihnen ganz bestimmte – wenn auch manchmal weither geholte Ähnlichkeiten mit Schauspielern, Politikern und anderen Prominenten zu entdecken und sie dann in diese Schublade zu stecken. Dies ohne jede Wertung. So konnte ein Mörder bei mir durchaus als Jesus abgespeichert sein und ein Wohltäter der Menschheit als Joseph Goebbels. Jetzt, wo es um Luise Tschupsch und Waldemar v. Woerzke ging, umfaßte meine ‹Besetzungsliste› auch schon etliche Namen. Bürgermeister Harry Zinna = Erich Honecker; Wolfram Schweriner = Ex-wirtschaftsminister Jürgen Möllemann; der Großinquisitor = Cliff Barnes, der ewige Versager aus der ‹Dallas›-Serie; Waldemar v. Woerzke = Herbert von Karajan; Hermann Hackenow = Herbert Wehner.
Als ich nun am Wutzsee stand und am Tor eines flachen Fischerhauses klingelte, kam eine weitere ‹Type› auf mich zu: J. R. Ewing bzw. Larry Hagman, ‹Southfork Ranch›, ‹Dallas›. Es war Gerhard Uhlig, der Mann, der mich Woerzkes wegen angerufen hatte.
Wir wechselten einige Worte, dann bat er mich zu warten. «Ich zieh mir nur noch schnell meine Stiefel
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