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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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ich ihn längst für einen Schwindler hielt? Oder suchte er nur jemanden, der an seinem Schicksal Anteil nahm?
    «Und wie sind Sie von Weesow nach Oranienburg gekommen?» fragte ich ihn, leise geworden, betroffen von allem. Wenn es stimmte, was er sagte, wenn wirklich der echte Waldemar neben mir stand, war ich ein Riesenschwein.
    Er schloß die Augen. «Von Weesow hierher...? Zu Fuß natürlich. Nur für die Gebrechlichen gab es Pferdefuhrwerke. Von der Lehnitzschleuse her sind wir durch dieses Tor hier gekommen. Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate.»
    «Dante...?»
    «Ja... Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden.»
    Ich wurde wieder etwas schwankend. Woher sollte ein so vergleichsweise einfacher Mensch wie Werner Wolmir Dante kennen.
    «Haben Sie denn nicht sehr schnell an Flucht gedacht? Sie kamen doch aus der Gegend hier... Und das ist doch ein unschätzbarer Vorteil gewesen. »
    «Eine Flucht war praktisch ausgeschlossen...»
    «Wie...?» Ich konnte es nicht recht fassen, daß er das so offen sagte.
    «Nach Süden zum Lehnitzsee hin, zur Bernauer Straße, da standen die russischen Kasernen, da war kein Durchkommen. Auch zur Stadt hin nicht, weil die angrenzenden Häuser von Russen belegt waren. Die Leute in der Stadt, die Deutschen, halfen einem auch nicht, die hatten Angst, dabei erwischt zu werden und dann selber hier zu landen. Wir fürchteten aber auch, daß man nach einer geglückten Flucht statt uns die nahen Angehörigen herbringen würde. Auch den zurückgebliebenen Mithäftlingen stand Schlimmes bevor.»
    Ich sah ihn an. Es war wie bei einem Vexierbild. Im Augenblick war er für mich eindeutig der echte Waldemar v. Woerzke. Wie er mir da die Struktur des Lagers erklärte. Die Zone 1 sei das schon erwähnte Dreieck, wo es nur Internierte gegeben habe. Rechts davon die Zone 2 mit den Baracken, in denen er zum Schluß gesteckt hätte.
    «... und auf der linken Seite dann die Arbeitszone, der Industriehof, von uns der ‹Heike-Hof› genannt...»
    Ich zuckte zusammen. «Wie denn das...?»
    «Das war der Name einer Lebensmittelfirma, wenn ich mich recht erinnere.»
    «Und Sie haben da auch gearbeitet?»
    Woerzke nickte. «Reparaturen im Lager, Arbeiten für die NKWD-Offiziere... Die haben sich Stiefel und Garderobe anfertigen lassen, Bilder mußten wir malen... Gerätschaften für die Häftlinge herstellen, Schüsseln und so... In der Gärtnerei hab ich auch mal gearbeitet. Bevor ich hier verurteilt worden bin... Wegen Spionage für den amerikanischen Geheimdienst.»
    «Ah ja...» Ich fragte ihn nun nach den Sicherheitsvorkehrungen, um die Wahrscheinlichkeit einer geglückten Flucht besser abschätzen zu können.
    «Um das ganze Lager herum eine Mauer... zwei Meter siebzig hoch... Stacheldraht, elektrisch geladen, obendrauf gesetzt. Davor der Postenweg, zum Lager hin... Dann der eigentliche elektrisch geladene Stacheldrahtzaun und noch einmal Drahthindernisse, Verhaue...»
    «Und trotzdem gab es gelungene Fluchtversuche?»
    «Die können Sie an den Fingern einer Hand abzählen. Der spektakulärste ist nach meiner Zeit geschehen. Frühjahr 1948, in der Zone 2. Dort hat sich eine größere Gruppe von Häftlingen einen Tunnel gegraben.»
    Ich kam zum Kern der Sache. «Und Ihre eigene Flucht?»
    «Die ist ja nie bekannt geworden. Ich bin ja ganz offiziell gestorben und in den Listen auch so geführt worden.»
    «Wie das...?»
    «Das ist noch einmal eine lange Geschichte.»
    Wir verließen den Turm A und begaben uns in die rechte untere Ecke des Dreiecks, wo drei langgestreckte dunkelgrüne Holzbaracken standen: der Krankenbau. Dahinter lagen Pathologie und Leichenkeller. Woerzke erzählte mir, daß ausschließlich deutsche Pfleger und Ärzte hier gearbeitet hätten.
    «Die Toten kamen in die Pathologie und wurden dann nachts vom Leichenkommando nach draußen geschafft. Hinter der Zone 2 gab es ein großes Gräberfeld, weiter zum Lehnitzsee hin die heute sogenannte ‹Sturmbahn) und drittens dann die Stelle ein paar Kilometer weiter weg im Schmachtenhagener Forst, wo die Luise das Kreuz für mich hingestellt hat.»
    Wir standen auf dem schütteren Rasen direkt über dem Leichenkeller.
    «Da haben Sie schon drin gelegen...?»
    «Nein... Hier unter dieser Pappel ist der Leichenwagen beladen worden. In der Nacht natürlich. Es war November und ziemlich neblig.» Woerzke malte das mit breiten Gesten aus. «Ich hab also hier in der Krankenbaracke gelegen, bin offiziell gestorben und in die Pathologie

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