Unfassbar für uns alle
Vereinsbank zählte. Aha. Bestand also immer noch die Möglichkeit, daß Schweriner und Viebak... Ja, aber es war irgendwie absurd. Ich bedankte mich und legte auf.
«Also, Herr Viebak...» Sein Gesicht verschwamm vor meinen Augen. Das war kein Gesicht mehr, das war nur noch eine Gummimaske, die er sich übergestülpt hatte. Dieses immergleiche Womit-kann-ich-dienen-Lächeln war die reinste Psychofolter für mich. Noch unerträglicher war der Gedanke, daß er die Wahrheit hinter seiner schweißglänzenden Stirn quasi-materiell gelagert hatte, ich aber an diese Wahrheit ebensowenig herankam wie an das Geld von Fort Knox.
Wenn jetzt die gute Fee gekommen wäre und ich einen berufsbezogenen Wunsch freigehabt hätte, dann nur den: «Bitte, laß diesen Viebak nicht den Mörder sein.» Mein viel höheres Ziel war es ja, Woerzke zu entlarven – und dazu brauchte ich den Profikiller, der in seinem Auftrag geschossen hatte, und keinen psychisch kranken Individualtäter wie Viebak.
Und da nahte die gute Fee auch schon und zwar in Gestalt meines Kollegen Volker Vogeley.
Diesmal flüsterte er es nicht, sondern sagte ganz laut, was er eben erfahren hatte.
«Die Waffe, mit der Luise Tschupsch erschossen worden ist, ist nicht identisch mit der, die ihr bei Herrn Viebak gefunden habt.»
37. Szene
Wohnung Viebak
Mit Mühe und Not war es uns gelungen, Sven Viebak trotz der wütenden Attacken seines Anwalts noch so lange in der U-Haft festzuhalten, bis wir seine Wohnung sorgfältig durchsucht und mit seiner Mutter gesprochen hatten. Auch die Gegenüberstellung mit dem Juwelier, bei dem die Schmuckstücke der Ermordeten aufgetaucht waren, und dem Italiener aus Neukölln, Fabricio Longare, war noch in Szene zu setzen. Wir mußten uns beeilen.
Hannelore Viebak hatte sofort nach der Verhaftung ihres Sohnes ihre Kur unterbrochen und war nach Oranienburg zurückgekehrt. Von Beruf war sie Krankenschwester, aufgestiegen zur Oberschwester. Sie war etwa in meinem Alter und genau die Frau, nach der ich mich sehnte, wenn ich irgendwelche heftigen Schmerzen hatte oder ganz einfach einen depressiven Schub. Hannelore Viebak wirkte außerordentlich souverän, war hart und herzlich zugleich, mit ihrem durchtrainierten Körper und ihrer Volleyballerinnengröße aber auch ein beachtenswertes Lustobjekt. Ein bißchen erinnerte sie mich, ich kam nicht los von dieser Macke, an Evita Perón.
Sie hatte Yaiza Teetzmann und mir schnell einen Tee gekocht, und wir saßen auf ihrem schwarzen Ledersofa wie ein lieber Besuch. Volker Vogeley war inzwischen damit beschäftigt, sich im Zimmer ihres Sohnes umzusehen.
«Das ist alles wie ein böser Traum für mich. Und eine üble Verleumdung dieses versoffenen Trödlers.» Damit meinte sie den Juwelier in Tegel, bei dem der Schmuck aus dem Besitz der Ermordeten aufgetaucht war. «Ein Racheakt, nichts weiter. Der Mann kommt aus Oranienburg und hat sich gleich nach der Wende bei der Brandenburgischen Vereinsbank mehrere Kredite erschwindelt. Um zwei pompöse Schmuckläden am Kurfürstendamm und in der Friedrichstraße aufzumachen. Aber Sven ist ihm auf die Schliche gekommen, und er hat Konkurs anmelden müssen. Jetzt hat er da in Tegel aufm Wochenmarkt ’nen Stand. Vielleicht sogar nur ’n Bauchladen.»
Das stimmte allerdings weithin. Viebak hatte in der fraglichen Zeit tatsächlich in der Kreditabteilung der Brandenburgischen Vereinsbank gesessen, und der prätentiöse Juwelier war nach der Betrugsaffäre zum billigen Schmuckhändler herabgesunken, schwor aber weiterhin, die Uhr, die der Tschupsch gehört haben konnte, von Viebak angekauft zu haben.
«Mag ja alles sein, Frau Viebak, aber es gibt da noch einen Zeugen, der Ihren Sohn am Tatort gesehen hat.»
«Die Leute sehen zu viele ‹Tatorte›, das ist es.»
Sie erzählte uns, wie sanft und lieb Sven von Anfang an gewesen sei. Während ich ihr zuhörte, fotografierten meine Augen die Details ihres Wohnzimmers. Die mahagonibraune Schrankwand, die alles erschlug, noch Made in GDR. Couch und Sessel schon «Junge Wohnwelt» aus dem Westen. Palmenstrand und blaues Meer in Öl von Hertie. Fernseher, Videorecorder...
«Alles da», sagte sie. «Ich habe mich immer bemüht, für Sven und mich ein schönes Nest zu bauen.»
«Sind Se also alleinerziehende Mutter jewesen?» fragte Yaiza Teetzmann.
«Ja. Mein Mann ist bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen, als Sven zwei Jahre alt war. In der DDR war das ja alles kein Problem: Kinderkrippe, Hort...»
«Sie
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