Unfassbar für uns alle
gehabt, ob sie den Mann auf unserer Phantomzeichnung wohl kannten. Während dieser Zeit kam bei Yaiza ein Krankheitsbild zum Vorschein, das sie bis dahin noch nicht gezeigt hatte, das aber in der Verwaltung an sich recht häufig anzutreffen ist: die Manie, alles in Zahlen und Prozenten festzuhalten. Bei insgesamt 5000 befragten Personen hatten 77,8% die Antwort «Keine Ahnung, kenne ich nicht» gegeben und 4,2% gemeint, «Der eine von Dick und Doof». 410Befragte (= 82,0%) fielen also aus, genau 90 hatten Namen genannt. Diese verteilten sich auf sage und schreibe 28 Personen. Nur bei fünf Männern hatten sich die Angaben etwas gehäuft. Spitzenreiter war mit 13 Nennungen (= 2,6%) ein gewisser Jens-Olaf Paprotzki, dann folgte mit 7 Nennungen (= 1,4%) ein Bankangestellter mit Namen Sven Viebak. Und da sich Paprotzki seit vier Wochen mit einer komplizierten Viruserkrankung in einer Hamburger Klinik aufhielt, begannen wir an diesem Abend mit Sven Viebak. Er wohnte mit seiner Mutter zusammen in der Rtidesheimer Straße, die direkt zum Lehnitzsee hinunterführte. Volker Vogeley wartete dort in sicherer Deckung, um uns anzufunken, wenn Viebak das Haus verließ. Wir hatten lange hin und her überlegt, uns aber nicht für eine Hausdurchsuchung nur aufgrund unseres «Umfrageergebnisses» entschließen können. Wahrscheinlich hätten wir vom Richter eine bekommen, denn dieser Viebak war tatsächlich der Mann, der auf dem Bahnhof Oranienburg in den S-Bahnzug gesprungen war, doch Koppatz hatte dagegen argumentiert. Er würde gewarnt werden, und die Tatwaffe hätte er sicherlich nicht offen auf dem Küchentisch liegen. Besser wäre es allemal, wir würden ihn auf frischer Tat ertappen.
So kam es, daß Yaiza Teetzmann frierend neben mir stand und nicht nur eine kugelsichere Weste trug, sondern unter der weiten Kapuze ihres Anoraks auch eine Art Stahlhelm. Für den Fall, daß Viebak ein Serientäter war und auch sein zweites Opfer mit einem Kopfschuß töten wollte.
«Mann, is det unanjenehm mit dem schweren Ding uffm Kopp. Dauand kippta zur Seite wie bei so’m alten Teddy, wo die Sägespäne raus sind.»
«Sägespäne im Kopf, interessant...»
Yaiza Teetzmann trat mir kräftig auf den Fuß. «Fünf Mark in die Chauvikasse.»
«Dieser zärtliche Körperkontakt mit dir wäre mir auch glatt das Zehnfache wert gewesen.» Ich rieb mir mein Hühnerauge. «Obwohl du derart nach Knoblauch duftest...»
«Wir warn beim Griechen essen.»
«Auch ein so armes Land wie Brandenburg sollte seinen Beamten beim paarweisen Einsatz eine Dienstzahnbürste spendieren.»
«Wozu’n, wenn der mir nachher doch in’n Mund schießt... Wie bei der Tschupsch.»
«Hör auf!»
«Hoffentlich jehta oben spazieren inna Bernauer Straße und nich hier unten am See.»
Oben stand Koppatz, um sich um Viebak zu kümmern. «Den wird er ja nicht gerade für’n attraktives Weibsbild halten.»
«Manchmal kann ’n Irrtum oochjanz segensreich sein.»
«Du hast doch noch zuwenig Dienstjahre, um seine Stelle zu kriegen.»
«Der Arsch, der will Volker zum Lehrgang schicken und nicht mich... Obwohl ich sicher besser bin und nicht dauernd mit meiner Gitarre rumziehe, pling-pling machen.»
«Und womit begründet er das?»
Sie äffte Koppatz nach. «Sie werden ja doch bald Mutter werden ...»
«Schön, wie schnell er die westlichen Verhaltensmuster übernommen hat.»
«Is mir ejal, mir is nur kalt.» Yaiza Teetzmann fror erbärmlich. Um für Viebak interessant £u sein, hatte sie sich keine langen Hosen angezogen, sondern war in Rock, heller Strumpfhose und Stiefeln erschienen.
«Mit deiner gütigen Erlaubnis könnt ich dich ja wärmen. Aber nicht, daß du nachher zum Personalrat rennst und von sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz sprichst.»
«Ick erlaube dir allet. Allet nich, aba...»
Es war köstlich, sie im Arm zu halten. So wie wir das Liebespaar spielten, wäre das für jeden Lehrfilm ein Knüller geworden. Ich hörte die betont sachlich-coole Stimme des Kommentators: ‹Nach Abschnitt 2.1.2.4 der PDV 100 ist bei einer Observation der Einsatz zweier als Liebespaar getarnter Polizeibeamter nur dann gestattet, wenn ausgeschlossen werden kann, daß es zum Petting kommt.›
Ich war schon ein wenig am Stöhnen, als Volker Vogeley sich meldete. «Er kommt gerade aus dem Hausflur und... wendet sich nach rechts, zum See hin also...»
«Okay. Bei uns läuft alles nach Plan.»
«Is dir wirklich eena abjegangen?» fragte Yaiza Teetzmann.
«Nein.»
«Du
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