Ungeahnte Nebenwirkungen
gewachsen.
»Du weichst mir seit Tagen aus«, hörte sie Helens Stimme hinter sich, als sie die neu eingetroffenen Schuhe in die Gestelle räumte.
Nicole zuckte mit den Schultern, setzte ihr ahnungslosestes Lächeln, das sie auf die Schnelle finden konnte, auf und drehte sich zu ihrer Freundin um. »Was meinst du?« fragte sie so harmlos, wie es ihr fliegender Pulsschlag zuließ.
»Wie ich es sage«, holte Helen mit fester Stimme aus. »Du stürzt dich auf die Kunden, berätst sie mit einer Ausdauer, die schon fast an Zeitraub grenzt, und verschwindest nach Feierabend wie eine Fata Morgana. Ich habe seit über einer Woche kein persönliches Wort mehr von dir gehört, und du erzählst mir nichts, aber auch wirklich nichts von deinem Leben.«
Nicole seufzte. Natürlich hatte Helen recht, doch sie konnte ihr unmöglich erzählen, was sie im Moment beschäftigte. Ihre Freundin neigte zu überstürzten Handlungen, würde sie in Bedrängnis bringen und möglicherweise die Angelegenheit in ihrem Sinne zu lösen versuchen.
»Mein Leben ist wie immer. Es läuft nichts«, erklärte Nicole deshalb vorsichtig.
Helen blickte ihr forschend in die Augen. Sie schien nicht glauben zu wollen, was Nicole sagte.
»Wenn nichts ist, wieso bist du dann so zugeknöpft? Keine Spur von Humor, plötzliche Arbeitswut, verdächtige Eile, aus der Bude rauszukommen! Da stimmt doch etwas nicht«, analysierte Helen.
Nicole hätte ihr ja gern gesagt, wo die Häsin im Pfeffer lag, doch da sie selbst keine Ahnung hatte, was sie wirklich wollte – und vor allem, wie sie es wollte – fehlten ihr die passenden Worte. »Vielleicht bin ich einfach ein bisschen einsam«, wich Nicole aus. »Zudem habe ich derzeit ein paar spannende Bücher in Arbeit, die mich wirklich fesseln.«
Sehr überzeugend klang das nicht gerade, doch etwas Besseres fiel ihr im Moment wirklich nicht ein.
»Wann musst du wieder zum Zahnarzt?« wechselte Helen das Thema.
»In fünf Tagen«, kam Nicoles Antwort wie aus der Pistole geschossen, ehe sie es verhindern konnte.
Helen lächelte, dieser Punkt ging an sie. »Sie macht dich unglücklich. Siehst du das nicht?« fragte Helen mit freundschaftlicher Besorgnis.
»Sie macht eben überhaupt nichts!« stellte Nicole mit Nachdruck richtig.
»Ach, das ist es«, folgerte Helen grinsend. »Soll ich vielleicht etwas nachhelfen?«
Nicole verzog das Gesicht. »Bloß nicht! Untersteh dich!«
Das war genau das, worauf sie gewartet hatte. Mirjam würde ihr nicht nur den Weisheitszahn aus dem Kiefer reißen, wenn Helen sich einmischen würde. Vielleicht sollte sie sich wirklich einen neuen Zahnarzt suchen, sozusagen als präventive Maßnahme, solange sie noch sprechen und gehen konnte.
Helen winkte lachend ab. »Keine Bange, ich sage bestimmt nichts«, beruhigte sie ihre Freundin. »Da eben nichts läuft und da du ja auf diese Frau angewiesen bist – ich meine jetzt ihr Fachwissen – werde ich alles unterlassen, was sie gegen dich aufbringen könnte.« Dann überlegte sie kurz, ehe sie fragte: »Wie oft musst du noch zu ihr?«
Was führte Helen jetzt schon wieder im Schilde? Nicole kam nicht drauf, doch sie verweigerte die Antwort, da ihr schwante, dass Helen bestimmt einen Hintergedanken hatte bei dieser Frage.
»Vergiss es einfach«, bat Nicole, »ich will von ihr nichts wissen – und sie von mir offenbar auch nicht. Bei der ersten Konsultation habe ich wohl etwas überreagiert, aber das ist längst vorbei!«
Helen ließ das Thema endlich ruhen, obwohl in ihrem Blick Unglauben zu lesen war. Wenigstens würde sie sich still verhalten, und das schien im Moment das Wichtigste zu sein.
Nicole musste unbedingt etwas unternehmen, um die Sache auf diese oder andere Weise aus der Welt zu schaffen, ehe sich ihre Freundin doch noch genötigt sah einzugreifen und damit wahrscheinlich eine Katastrophe auszulösen und sie an Leib und Leben zu gefährden.
~*~*~*~
N icoles Blick verfing sich an der Jukebox, die sich wie üblich in dezentes Schweigen hüllte. Die Gedanken wanderten an dem Dekorationsmöbel vorbei den Flur mit den weißgestrichenen Türen hinab.
Nicole öffnete im Geist eine dieser Türen und betrat das Behandlungszimmer. Dr. Schiesser erwartete sie schon. Die gut ein Meter siebzig große Frau trug außer der Unterwäsche nur den obligatorischen Kittel. Nicole befiel eine erwartungsvolle Nervosität. Die Zahnärztin nickte ihrer Patientin zu, deutete auf den Sessel.
Nicole kam aber gar nicht dazu, sich zu
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