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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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diesen Blick, seit ich wußte, daß ich entschlossen war.
    Ich erhob mich. Ich hatte in diesem Moment ein Gelöbnis geleistet. Kaum, daß sie das Rücken meines Stuhles vernahm, hob die Blinde die Augen.
    »Müssen Sie wirklich schon gehen?« fragte sie mit ehrlichem Bedauern. »Wie schade, wie schade! Aber nicht wahr, Sie kommen bald wieder?«
    Mir war sonderbar zumute. Was ist das mit mir, staunte ich innerlich, daß alle zu mir Vertrauen haben, daß diese Blinde ihre leeren Augen strahlend gegen mich hebt, daß dieser Mann, ein beinahe Fremder, mir jetzt freundschaftlich den Arm um die Schulter legt? Schon als ich die Treppe hinunterging, verstand ich nicht mehr, was vor einer Stunde mich hierhergetrieben. Warum hatte ich denn eigentlich fliehen wollen? Weil irgendein bärbeißiger Vorgesetzter mich beschimpft hatte? Weil ein Wesen, ein armer verstümmelter Mensch in Liebe zu mir verging? Weil jemand an mir sich festhalten, sich aufrichten wollte? Es war doch wunderbar, zu helfen, das einzige, was sich wahrhaft verlohnte und belohnte. Und diese Erkenntnis drängte mich, nun aus freiem Willen zu leisten, was ich gestern noch als unerträgliches Opfer empfunden: für die große, für die glühende Liebe eines Menschen diesem Menschen dankbar zu sein.

 
    Acht Tage! – seit Condor meine Aufgabe befristet hatte, fühlte ich mich wieder meiner gewiß. Nur eine Stunde flößte mir noch Bangnis ein oder vielmehr jene einzige Minute, da ich Edith nach ihrem Bekenntnis zum erstenmal wieder entgegentreten sollte. Ich wußte, daß eine völlige Unbefangenheit nach so wilder Vertraulichkeit nicht mehr möglich war – der erste Blick nach jenem brennenden Kuß mußte die Frage enthalten: hast du mir vergeben? – und vielleicht noch die gefährlichere: duldest du meine Liebe und erwiderst du sie? Dieser erste Blick des Errötens, der verhaltenen und doch unaufhaltsamen Ungeduld, konnte, das fühlte ich deutlich, der gefährlichste und zugleich der entscheidende werden. Ein einzigesungeschicktes Wort, eine falsche Geste, und schon war grausam verraten, was ich nicht verraten durfte, und damit bereits jenes Brüske, jenes Beleidigende unwiderruflich geschehen, vor dem Condor mich so eindringlich gewarnt. War aber dieser Blick bestanden, dann war ich gerettet und hatte sie vielleicht für immer gerettet.
    Aber kaum daß ich am nächsten Tage das Haus betrat, merkte ich schon, daß, hellsichtig durch die gleiche Besorgnis, Edith bereits Vorkehrungen getroffen hatte, um mir nicht allein zu begegnen. Bereits im Vorraum vernahm ich hell plaudernde Frauenstimmen; sie hatte also zu dieser ungewohnten Zeit, wo sonst niemals Gäste unser Beisammensein störten, sich Bekannte zum Schutz eingeladen, um den ersten kritischen Augenblick zu überbrücken.
    Noch ehe ich den Salon betrat, eilte mir – entweder von Edith instruiert oder aus eigenem Antrieb – Ilona mit auffallendem Ungestüm entgegen, führte mich weiter und stellte mich der Frau des Bezirkshauptmanns und ihrer Tochter, einem bleichsüchtigen, sommersprossigen, mokanten Geschöpf, vor, von der ich übrigens wußte, daß Edith sie nicht leiden konnte; damit war jener erste Blick gleichsam abgeblendet, und schon schob mich Ilona hin an den Tisch. Man trank Tee und plauderte. Ich redete heftig auf das schnippische sommersprossige Provinzgänschen ein, während Edith mit der Mutter konversierte. Durch diese keineswegs zufällige Verteilung waren in den unterirdisch schwingenden Kontakt zwischen ihr und mir ein paar abdichtende Zwischenglieder eingeschaltet; ich konnte vermeiden, Edith anzuschauen, obwohl ich spürte, daß ihr Blick manchmal unruhig auf mir ruhte. Und auch, als die beiden Damen sich endlich erhoben, brachte die geschickte Ilona mit einem geschwinden Handgriff die Situation sofort in Ordnung.
    »Ich begleite die Damen nur hinaus. Ihr könnt inzwischen eure Schachpartie schon anfangen. Ich hab dann noch ein bißchen mit den Vorbereitungen für die Reise zu tun, aber in einer Stunde bin ich wieder bei euch.«
    »Haben Sie Lust auf eine Partie?« konnte ich jetzt Edith unbefangen fragen, und
    »Gern«, senkte Edith, indes die drei andern das Zimmer verließen, ihren Blick.
    Sie behielt den Blick im Schoß, während ich das Brett hinstellte und umständlich, um Zeit zu gewinnen, die Figuren ordnete. Sonst pflegten wir, nach alter Schachregel, um über Angriff oder Verteidigung zu entscheiden, je eine weiße und eine schwarze Figur in der geschlossenen Faust hinter

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