Ungeduld des Herzens.
sich mit einem Wort zu verabschieden oder zu entschuldigen; erst an unserer Betroffenheit war sie offenbar gewahr geworden, welche Verstörung sie verschuldet hatte.
Ich blieb mit Ilona allein. Mir war wie einem Menschen, der mit einem Flugzeug abgestürzt ist und aus der Erstarrung des Schreckens sich taumelig erhebt, unwissend, was eigentlich mit ihm geschah.
»Sie müssen es verstehen«, flüsterte Ilona mir hastig zu, »sie schläft jetzt keine Nacht mehr. Der Gedanke an die Reise regt sie furchtbar auf und ... Sie wissen ja nicht ...«
»Doch Ilona, ich weiß. Ich weiß alles«, sagte ich. »Eben darum komme ich morgen wieder.«
»Durchstehen! Festhalten!«, sagte ich mir energisch, als ich, von dieser Szene ganz erregt, nach Hause ging. Um jeden Preis fest bleiben! Du hast es Condor versprochen, dein Wort steht auf dem Spiel. Nicht dich beirren lassen durch Nerven und Launen. Immer bewußt bleiben, daß diese Feindseligkeit doch nur Verzweiflung eines Menschen ist, der dich liebt und an den du durch Härte, durch Kälte des Herzens verschuldet bist. Fest bleiben bis zur letzten Stunde – es gilt ja nur mehr dreieinhalb Tage, drei Tage, dann hast du die Probe bestanden, dann kannst du ausspannen, entlastet, wochenlang, monatelang! Geduld jetzt, Geduld – nur noch diese letzte Spanne, diese letzten dreieinhalb, diese letzten drei Tage!
Condor hatte richtig empfunden. Einzig das Unmeßbare, das Unfaßbare erschreckt uns, alles Begrenzte dagegen, alles Bestimmte fordert zur Probe heraus und wird zum Maß unserer Kraft. Drei Tage – das werde ich schaffen, fühlte ich, und dieses Bewußtsein gab mirSicherheit. Ich machte am nächsten Morgen ausgezeichnet meinen Dienst, was allerlei besagen wollte, denn diesmal mußten wir schon eine Stunde früher als sonst auf den Exerzierplatz und wild herummanövrieren, bis uns der Schweiß in den Kragen lief. Zur eigenen Überraschung konnte ich sogar dem ingrimmigen Oberst ein unwillkürliches »So ist's recht« entlocken; um so heftiger ging diesmal das Gewitter auf den Grafen Steinhübel nieder. Passionierter Pferdenarr, der er war, hatte er sich gerade vorgestern einen neuen hochbeinigen Fuchs angeschafft, ein junges, unbändiges Vollblut; leider war er im Vertrauen auf seine Reitkunst so unvorsichtig gewesen, ihn nicht vorher gründlich auszuprobieren. Mitten bei der Besprechung war nun das Luder, vom Schatten eines Vogels erschreckt, toll gestiegen, ein zweites Mal bei der Attacke schlankweg durchgegangen, und wäre Steinhübel nicht ein so famoser Reiter gewesen, so hätte die ganze Front ein kurioses Kopfüber zu sehen bekommen. Erst nach einem geradezu akrobatischen Kampf konnte er das furiose Vieh kleinkriegen, für welche respektable Leistung er aber vom Oberst nichts Erfreuliches zu hören bekam. Er verbitte sich, knurrte er, ein für allemal Zirkuskunststücke auf dem Exerzierplatz; wenn der Herr Graf schon von Gäulen nichts verstünde, solle er sie wenigstens vorher anständig in der Reitschule zureiten und sich nicht so jämmerlich vor der Mannschaft blamieren.
Diese böse Bemerkung wurmte den Rittmeister über alle Maßen. Noch während des Heimritts und dann bei Tisch explizierte er immer von neuem, welches Unrecht man ihm angetan. Das Roß habe eben zu viel Saft in sich; man werde erst sehen, was der Fuchs für famose Figur machen würde, wenn man ihm einmal die Mucken gründlich ausgetrieben hätte. Aber je mehr der Enragierte sich erregte, um so mehr stichelten ihn die Kameraden. Erhabe sich anschmieren lassen, frozzelten sie ihn und machten ihn redlich fuchtig. Immer heftiger wurde die Debatte. Während dieser stürmischen Diskussion nähert sich mir von rückwärts eine Ordonnanz: »Zum Telephon bitte, Herr Leutnant.«
Mit schlimmer Vorahnung springe ich auf. Immer kam ja in den letzten Wochen von Telephon, Telegrammen und Briefen nur Nervenriß und Verstörung. Was will sie schon wieder? Wahrscheinlich tut's ihr leid, mich für heute nachmittag freigegeben zu haben. Nun, wenn sie's reut, dann geht alles glatt. Jedenfalls ziehe ich die gepolsterte Tür der Telephonkabine luftdicht hinter mir zu, als kappte ich damit jeden Kontakt zwischen meiner dienstlichen Sphäre und jener andern vollkommen ab. Es ist Ilona.
»Ich wollte Ihnen nur sagen«, spricht sie – wie mir scheint, etwas befangen – in den Apparat, »es wäre besser, Sie kämen heute nicht heraus. Edith fühlt sich nicht ganz wohl ...«
»Doch nichts Ernstliches?« unterbreche
Weitere Kostenlose Bücher