Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
ein Quartalsäufer regelmäßig im Juni und Juli seine sogenannte »Manöverkrankheit« bekam, und wie er, je näher der Termin der großen Übung heranrückte, immer aufgeregter, immer federfuchsiger werde: ich schmückte, um die dumme Geschichte auszuwalken, obwohl der Kragen um meine Kehle sich gleichsam nach innen würgte, sie mit immer läppischeren Details aus. Jedoch nur die andern lachten, auch sie gezwungen und sichtlich bemüht, das peinliche Schweigen Ediths zu decken, die nun schon zum drittenmal ostentativ gähnte. Aber nur weitersprechen, sagte ich mir, und so erzählte ich, wie wir jetzt herumgehetzt würden, niemand wisse mehr ein und aus. Obwohl gestern zwei Ulanen mit Sonnenstich vom Pferd gefallen seien, nehme der rabiateMenschenschinder uns jeden Tag noch schärfer vor. Wann man aus dem Sattel komme, könne jetzt niemand mehr voraussagen, zwanzigmal, dreißigmal lasse er in seinem Manöverkoller die dümmste Übung wiederholen. Mit Müh und Not sei's mir heute noch gelungen, mich rechtzeitig fortzudrücken, aber ob ich morgen ganz pünktlich kommen könnte, wüßte nur der liebe Gott und der Herr Oberst, der sich zur Zeit für seinen Statthalter auf Erden halte.
    Dies war nun gewiß eine unschuldige Feststellung, die niemanden kränken oder erregen konnte; ganz locker, ganz heiter hatte ich sie zu Kekesfalva hinübergesprochen, ohne Edith überhaupt anzusehen (ich konnte längst ihren starr ins Leere gerichteten Blick nicht mehr ertragen). Da klirrte plötzlich etwas. Sie hatte das Messer, mit dem sie die ganze Zeit über nervös gespielt hatte, quer über den Teller geworfen und hieb in unser Aufschrecken scharf hinein:
    »Nun, wenn's Ihnen solche Scherereien macht, dann bleiben Sie eben in der Kaserne oder im Kaffeehaus. Wir werden's schon ertragen.«
    Als hätte jemand durch das Fenster geschossen, starrten wir alle atemlos auf.
    »Aber Edith«, lallte Kekesfalva mit ganz trockener Zunge.
    Doch sie warf sich im Sessel zurück und höhnte: »Nun, man hat doch Mitleid mit einem so geplagten Menschen! Warum soll er sich nicht einen Tag dienstfrei machen von uns, der Herr Leutnant! Ich für mein Teil spendier ihm gerne einen Feiertag.«
    Kekesfalva und Ilona blickten einander verstört an. Beide verstanden sofort, daß eine lang aufgestaute Erregung mich völlig sinnlos ansprang; an der ängstlichen Art, wie sie sich mir zuwandten, ahnte ich ihre Besorgnis, ich würde grob dieser Grobheit erwidern. Eben darum nahm ich mich besonders zusammen.
    »Wissen Sie, eigentlich haben Sie recht, Edith«, sagte ich so warmherzig, als es mir mit hämmerndem Herzen möglich war. »Einen guten Gesellschafter kriegt's ihr wirklich nicht an mir, wenn ich dermaßen abgeschunden herauskomm; die ganze Zeit spür ich's selber, daß ich Sie heute gründlich angeödet hab! Aber Sie sollten die paar Tage auch mit einem so abgerackerten Kerl vorliebnehmen. Wie lang wird's denn noch sein, daß ich zu euch kommen darf? Auf ja und nein wird das Haus leer sein und ihr alle fort. Ich kann's mir noch gar nicht ausdenken, daß wir im ganzen nun mehr vier Tage zusammen sein sollen, vier Tage oder eigentlich nur dreieinhalb Tage, ehe ihr ...«
    Aber da zuckte ein Lachen drüben auf, scharf und schrill, wie wenn ein Tuch durchreißt.
    »Ha! Dreieinhalb Tage! Haha! Bis auf den halben Tag hat er sich's ausgerechnet, wann er uns endlich los wird! Hat sich wahrscheinlich eigens einen Kalender gekauft und rot angezeichnet: Feiertag, unsere Abfahrt? Aber geben Sie nur acht! Man kann sich auch einmal gründlich verrechnen. Ha! Dreieinhalb Tage, drei und ein halb, ein halb, ein halb ...«
    Sie lachte immer heftiger, uns gleichzeitig mit hartem Blick anblitzend, aber sie zitterte, während sie lachte; es war eher ein böses Fieber, das sie schüttelte, als eine richtige Heiterkeit. Man merkte, am liebsten wäre sie aufgesprungen, was ja auch die natürlichste, die normalste Bewegung gewesen wäre bei solch aufrüttelnder Erregung; aber mit ihren hilflosen Beinen konnte sie nicht von ihrem Sessel weg. Diese gewaltsame Gebanntheit gab ihrem Zorn etwas von der Bösartigkeit und tragischen Wehrlosigkeit eines eingegitterten Tiers.
    »Gleich, ich hole schon Josef«, flüsterte ihr ganz blaß Ilona zu, seit Jahren gewohnt, jede ihrer Bewegungen zu erraten, und sogleich trat der Vater an ihre Seite. Aberseine Angst erwies sich als überflüssig, denn wie jetzt der Diener eintrat, ließ sich Edith von ihm und Kekesfalva wortlos hinausführen, ohne

Weitere Kostenlose Bücher