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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Franzi auch noch studieren. Eine gute Partie!« »Adlig soll's ja außerdem sein«, meckert mein Bruder hinter dem Zylinder, aber schon fährt die Tant' Daisy mit ihrer Kakadustimme dazwischen. »Na, das mit dem Adel wird man noch gründlich nachsehen«, und jetzt tritt meine Mutter näher und lispelt ganz schüchtern: »Aber möchtest sie uns nicht endlich vorstellen, dein Fräulein Braut?« ... Vorstellen? ... das fehlte noch, daß sie alle die Krücken sehen, und was ich mir eingewirtschaftet hab durch mein blödes Mitleid ... ich werd mich hüten ... und dann – wie kann ich sie denn vorstellen, wir sind doch beim Condor in der Florianigasse droben, im dritten Stock ... im Leben kann die Hinkete nicht die achtzig Stufen hinauf ... Aber warum wenden sie sich jetzt alle um, als ob im Nebenzimmer was los wäre? ... Selber spür ich's jetzt an der Zugluft im Rücken ... hinter uns muß jemand die Tür aufgemacht haben. Kommt am Ende noch jemand? ... Ja, ich hör was kommen ... von der Treppe her stöhnt und quietscht und quetscht was ... da zieht und zerrt und schnauft sich was hoch ... tok-tok, tok-tok ... um Gottes willen, die kommt doch nicht wirklich herauf! ... die wird mich doch nicht so blamieren, mit ihren Krücken ... ich müßte mich ja in die Erd verkriechen vor dem hämischen Pack ... aber schrecklich, sie ist es wirklich, nur sie kann das sein ... tok-tok, tok-tok, ich kenn doch den Ton ... tok-tok, tok-tok, immer näher ... gleich ist sie heroben ...am besten, ich sperr noch die Tür ab ... Aber da nimmt mein Bruder schon den Zylinder und verbeugt sich nach rückwärts hin zum Tok-tok ... vor wem verbeugt er sich denn, und warum so tief ... und plötzlich fangen sie alle an zu lachen, daß die Scheiben klirren. »Ach so , ach so , ach soo , ach soo ! Haha ... haha ... sooo sehen die sieben Millionen aus, die sieben Millionen ... Ahaa, ahaa ... und die Krücken als Mitgift dazu, ahaa, ahaa ...«
    Ah! – ich schrecke auf. Wo bin ich? Ich starre wild um mich. Mein Gott, ich muß geschlafen haben, ich muß eingeschlafen sein in dieser elenden Schaluppe. Scheu blicke ich mich um. Haben sie was bemerkt? Die Wirtin putzt gleichmütig an den Gläsern, der Ulan zeigt mir beharrlich den breiten stämmigen Rücken. Vielleicht haben sie's gar nicht beachtet. Ich kann ja nur eine Minute, höchstens zwei Minuten lang eingenickt sein, der abgedrehte Zigarettenstummel glimmt noch in der Aschenschale. Eine Minute, zwei Minuten höchstens kann die wüste Träumerei gedauert haben. Aber dieser Traum hat mir alles Warme und Dumpfe aus dem Leibe gelaugt; plötzlich weiß ich eisig klar, was geschehen ist. Weg, nur weg jetzt vor allem aus dieser Spelunke! Ich klirre das Geld auf den Tisch, gehe zur Tür, und sofort steht der Ulan Habtacht. Ich spüre gerade noch, mit welchem merkwürdigen Blick die Arbeiter von ihren Karten aufschauen, und weiß: sofort, wenn ich die Tür zuziehe, werden sie zu schwatzen anfangen über den Sonderling im Offiziersrock; alle Menschen werden von heut an so hinter meinem Rücken lachen. Alle, alle, alle, und keiner wird Mitleid haben mit dem Narren seines Mitleids.
    Wohin jetzt? Nur nicht nach Hause! Nur nicht hinauf in das leere Zimmer, nicht allein sein mit diesen gräßlichen Gedanken! Am besten noch etwas trinken, etwas Kaltes,etwas Scharfes, denn schon wieder spüre ich diesen widerlichen Geschmack von Galle im Gaumen. Vielleicht sind es die Gedanken, die ich erbrechen möchte – nur wegschwemmen, wegbrennen, nur abdumpfen, nur abstumpfen das alles! Ah, grauenhaft, dieses gräßliche Gefühl! Hinein in die Stadt! Und wunderbar – das Café am Rathausplatz ist noch offen. Hinter den verhangenen Scheiben glänzt Licht durch die Ritzen. Ah – etwas trinken jetzt, etwas trinken!
    Ich trete ein und sehe gleich von der Tür aus, am Stammtisch hocken sie noch alle beisammen, der Ferencz, der Jozsi, der Graf Steinhübel, der Regimentsarzt, die ganze Bande. Aber warum starrt der Jozsi so verblüfft auf, warum versetzt er dem Nachbarn einen heimlichen Puff, und warum glotzen alle derart penetrant auf mich? Warum stockt mit einem Mal das Gespräch? Eben haben sie doch noch heftig diskutiert und derart durcheinandergeschrien, daß ich den Krawall gehört habe bis an die Tür; jetzt, kaum daß sie mich bemerkt haben, hocken sie alle stumm und irgendwie verlegen. Da muß etwas los sein.
    Nun, umkehren kann ich nicht mehr, da sie mich schon gesehen haben. So schlendre ich möglichst unbefangen

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