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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Wahrscheinlich hatte er vermutet, ich würde Condor bloß den kurzen Weg biszum Bahnhof begleiten und gleich in die Kaserne heimkehren; ich aber hatte ahnungslos ihn hier warten, warten, warten lassen, die zwei oder drei Stunden lang, die ich unterdes mit jenem in der Weinstube gesessen, und der alte kranke Mann hatte gewartet wie einst auf seine Schuldner, zäh, geduldig, unnachgiebig. In dieser fanatischen Beharrlichkeit war etwas, das mich aufreizte und doch gleichzeitig rührte.
    »Alles ist in bester Ordnung«, beruhigte ich ihn. »Alles wird gut, ich habe volle Zuversicht. Morgen nachmittag erzähle ich Ihnen mehr, ganz genau berichte ich Ihnen jedes Wort. Aber jetzt nur rasch zum Wagen, Sie sehen doch, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    »Ja, ich komme schon.« Widerstrebend ließ er sich führen; ich drängte ihn glücklich zehn, zwanzig Schritte weiter. Dann spürte ich an meinem Arm die Last schwerer werden.
    »Einen Augenblick«, stammelte er. »Einen Augenblick da auf die Bank. Ich kann ... ich kann nicht mehr.«
    Tatsächlich, der alte Mann schwankte hin und her wie ein Trunkener. Ich mußte alle Kraft aufbieten, um ihn mitten im Dunkel, während der Donner schon ganz nah und näher grollte, bis zur Bank hinzuschleppen. Dort fiel er schweratmend hin. Unverkennbar, das Warten hatte ihn erledigt, und kein Wunder: drei Stunden hatte er spähend und unruhig auf seinen müden Beinen Posten gestanden, und jetzt erst, da er mich glücklich gefaßt, war die Anstrengung ihm bewußt geworden. Erschöpft und wie hingeschlagen lehnte er auf der Armeleutebank, wo mittags die Arbeiter ihren kleinen Imbiß verzehrten, wo nachmittags die Pfründner und die schwangeren Frauen saßen, wo nachts die Dirnen sich Soldaten heranholten, er, der alte Mann, der reichste der Stadt, und wartete, wartete, wartete. Und ich wußte, auf was er wartete, ich ahnte sofort, daß ich den Hartnäckigen nicht andersfortbringen könnte von dieser Bank (welch ärgerliche Situation, wenn einer der Kameraden mich in dieser sonderbaren Vertraulichkeit ertappte!), als indem ich ihn gleichsam von innen aufrichtete. Ich mußte ihn zuerst beruhigen. Und wieder kam das Mitleid über mich, abermals brach die verfluchte heiße Welle innen auf, die mich jedesmal so kraftlos und willenlos machte; ich beugte mich näher und begann auf ihn einzusprechen.
    Um uns zischte, sauste und zuckte der Wind. Aber der alte Mann merkte nichts. Es gab keinen Himmel für ihn und keine Wolken und keinen Regen, es gab nur sein Kind und dessen Genesung auf Erden; wie hätte ich es da über mich bringen können, dem vor Aufregung und Schwäche Schlotternden nur karg das Faktische und Wahrhaftige zu berichten, daß Condor seiner Sache sich noch keinesfalls sicher fühle? Er brauchte doch etwas, an das er sich anklammern konnte wie vordem, im Hinsinken, an meinen helfenden Arm. So raffte ich das wenige Trostversprechende, das ich Condor mühsam abgerungen, hastig zusammen: ich erzählte ihm, daß Condor von einer neuen Kur gehört hätte, die Professor Viennot mit großem Erfolg in Frankreich erprobt habe. Sofort spürte ich im Dunkel etwas neben mir rascheln und sich regen; sein eben noch schlaff hingelehnter Leib drängte näher heran, als wollte er sich an mir wärmen. Eigentlich hätte ich jetzt nicht mehr versprechen dürfen, aber mein Mitleid riß mich weiter, als ich verantworten konnte. Ja, diese Kur hätte außerordentliche Erfolge, ermutigte ich ihn immer wieder und wieder, in vier Monaten, in drei Monaten seien damit ganz überraschende Heilungen erzielt worden und wahrscheinlich – nein: sogar soviel wie gewiß werde sie bei Edith nicht versagen. Allmählich kam eine Lust an diesen Übertreibungen in mich, denn wunderbar, wie diese Beschwichtigung wirkte. Jedesmal, wenn er mich gierig fragte: »Glauben Sie wirklich?« oder »Hat er daswirklich gesagt? Hat er das selber gesagt?« und ich in meiner Ungeduld und Schwäche alles leidenschaftlich bejahte, wurde der Druck seines angepreßten Körpers gleichsam leichter. Ich spürte, wie seine Sicherheit unter meinen Worten wuchs, und zum ersten- und letztenmal in meinem Leben ahnte ich in dieser Stunde etwas von der berauschenden Lust, die allem Schöpferischen innewohnt.
    Was alles ich damals auf jener Armeleutebank Kekesfalva verheißen und versprochen habe, weiß ich nicht mehr und werde es niemals wissen. Denn wie meine Worte sein gieriges Hinhören, so berauschte sein beseligtes Lauschen meine Lust, ihm mehr und

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