Ungeduld des Herzens.
und glasklaren Farben bestärkt; kaum erkannte ich unsere langweilige Chaussee wieder, die wir doch Woche um Woche im gleichen Tempo zu gleichem Ziele durchtrabten, so viel grüner und reichlicher wölbte sie über unseren Häuptern ihr gleichsam frischgestrichenes laubiges Dach. Herrlich leicht und entschwert saß ich im Sattel, weg war allesUnruhige und Dumpfe und Problematische, das in den letzten Tagen und Wochen mir die Nerven bedrückt hatte; selten glaube ich besser meinen Dienst getan zu haben als an jenem strahlenden sommerlichen Vormittag. Alles ging leicht und selbstverständlich, alles glückte und beglückte mich, der Himmel und die Wiesen, die guten heißen Pferde, die gehorsam jedem Schenkeldruck und Zügeldruck folgten, und die eigene Stimme sogar, wenn ich Befehle erteilte.
Nun haben starke Glückszustände wie alles Rauschhafte zugleich etwas Betäubendes; immer läßt intensives Genießen des Augenblicks das Vergangene vergessen. So dachte ich, als ich nach den erfrischenden Stunden im Sattel nachmittags wieder den gewohnten Weg hinaus zum Schloß marschierte, nur mehr in verhangener Weise an jene nächtliche Begegnung; ich freute mich lediglich an meiner leidenschaftlichen Leichtigkeit des Herzens und auf die Freude der andern; wenn man glücklich ist, vermag man sich auch alle übrigen Menschen nur glücklich zu erdenken.
Und wirklich, kaum daß ich an das wohlbekannte Tor des Schlößchens gepocht, begrüßte mich schon mit einer besonderen Helligkeit in der Stimme der sonst devot unpersönliche Diener. Gleich drängte er: »Darf ich Herrn Leutnant hinaufführen zum Turm? Die gnädigen Fräulein warten schon oben.«
Aber warum waren seine Hände so ungeduldig dabei, warum strahlte er mich so an? Warum stürzte er gleich so geschäftig voraus? Was ist denn los mit ihm, fragte ich mich unwillkürlich, während ich mich anschickte, die Wendeltreppe zur Terrasse emporzusteigen. Was hat er denn heute, der alte Josef? Er brennt ja vor Ungeduld, mich möglichst geschwind oben zu haben. Was ist denn los mit dem braven Burschen?
Aber es war gut, Freude zu fühlen, gut auch, an diesemstrahlenden Junitag mit frischen jungen Beinen die krumme Treppe hinaufzuklimmen und von den Seitenfenstern bald nach Norden, bald nach Süden, bald nach Ost und bald nach West die bis ins Unendliche geweitete sommerliche Landschaft zu sehen. Schließlich blieben mir nur mehr zehn oder zwölf Stufen bis zur Terrasse, als etwas Unvermutetes mich innehalten ließ. Denn sonderbar – da schwang plötzlich im Gewinde des dunklen Treppenhauses geisterhaft leicht eine Tanzmelodie, von Geigen getragen, von Cellos getönt und überhöht von den spritzigen Koloraturen verschlungener Frauenstimmen. Ich wunderte mich. Woher kam diese Musik, die nah war und zugleich fern, geisterhaft und doch irdisch, ein Operettenschlager, gleichsam vom Himmel herabgeweht? Spielte vielleicht irgendwo in einem nahen Wirtsgarten eine Kapelle und der Wind trug die verschlagene Melodie in letzter zartester Schwingung herüber? Aber im nächsten Augenblick erkannte ich schon, daß dieses luftige Orchester von der Terrasse herabwehte und nichts anderes war als ein simples Grammophon. Wie dumm von mir, dachte ich, heute überall Bezauberung zu spüren und Wunder zu erwarten; man kann doch ein ganzes Orchester nicht auf einer so engen Turmterrasse installieren! Aber nur ein paar Stufen weiter und ich wurde neuerdings ungewiß. Zweifellos, es war ein Grammophon, das da oben musizierte, aber doch – die Singstimmen, diese Stimmen klangen zu frei und zu echt, um aus einem kleinen schnurrenden Kasten zu stammen. Das waren wirkliche Mädchenstimmen in kindlich-fröhlichem Überschwang! Ich hielt inne und horchte schärfer zu. Der satte Sopran, das war Ilonas Stimme, schön, voll, üppig, weich wie ihre Arme; aber die andere Stimme, die mitsang, wem gehörte die zu? Die kannte ich nicht. Offenbar hatte Edith eine Freundin zu sich geladen, ein ganz junges, keckes, spritziges Mädel, und ich war herzhaft neugierig, dieses zwitscherndeSchwälbchen zu sehen, das sich so unvermutet auf unserem Turm niedergelassen. Um wieviel größer war darum meine Verblüffung, als ich beim ersten Betreten der Terrasse gewahr wurde, daß doch nur die beiden Mädchen beisammen saßen, Edith und Ilona, und daß es Edith war, die da lachte und trällerte mit einer ganz neuen, einer freien, silberleicht beschwingten Stimme. Ich staunte sosehr, weil diese Verwandlung von einem Tag zum
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