Ungeduld des Herzens.
andern mir irgendwie unnatürlich schien; so unbekümmert konnte einzig ein gesunder, ein sicherer Mensch aus dem Überschwang seiner Seligkeit singen; andererseits war es doch ausgeschlossen, daß dieses Kind, diese Kranke gesundet sein konnte, es sei denn, es wäre ein wirkliches Wunder geschehen zwischen Abend und Morgen. Was hat sie – staunte ich – so berauscht, was sie dermaßen betört, daß ihr diese selige Sicherheit mit einem Mal aus der Kehle, aus der Seele bricht? Mein erstes Gefühl kann ich schwer erklären; es war eigentlich Unbehagen, als ob ich die Mädchen nackt überrascht hätte, denn entweder hatte die Kranke mir bisher ihr wahres Wesen täuscherisch verborgen, oder es war – doch warum und wieso? über Nacht ein neuer Mensch in ihr aufgebrochen.
Zu meiner Verblüffung aber schienen die beiden Mädchen nicht im mindesten verwirrt, als sie mich bemerkten.
»Gleich«, rief Edith mir zu, und zu Ilona: »Dreh rasch das Grammophon ab.« Und schon winkte sie mich heran.
»Endlich, endlich, ich warte schon die ganze Zeit auf Sie. Also rasch! Erzählen Sie alles, aber ganz, ganz genau ... Papa hat ja alles so durcheinandergebracht, daß ich ganz konfus wurde ... Sie wissen doch, wenn er erregt ist, kann er nie etwas richtig erzählen ... Denken Sie, in der Nacht ist er noch zu mir heraufgekommen, ich konnte nicht schlafen bei dem schrecklichen Gewitter, mich fror furchtbar, und es zog vom Fenster herein, und ich hatte nicht die Kraft, aufzustehen. Die ganze Zeit wünschte ichmir innerlich, es möchte doch jemand aufwachen und kommen und das Fenster schließen, und plötzlich hör ich einen Schritt näher und näher. Ich bin zuerst erschrocken, es war doch zwei Uhr oder drei Uhr nachts, und hab Papa im ersten Staunen gar nicht erkannt, so anders hat er ausgesehen. Und gleich ist er zu mir her und war nicht zu halten ... Sie hätten ihn sehen sollen, gelacht hat er und geschluchzt ... ja, denken Sie sich doch, Papa einmal lachen, laut und übermütig lachen zu hören, und von einem Fuß auf den andern tanzen wie einen großen Buben! Natürlich, wie er zu erzählen angefangen hat, war ich so vor den Kopf geschlagen, daß ich's zuerst nicht hab glauben können ... Ich hab gedacht, Papa hat geträumt oder ich träum selber noch. Aber da ist dann noch Ilona heraufgekommen, und wir haben geschwätzt und gelacht bis zum Morgen ... Aber jetzt reden Sie schon einmal ... sagen Sie ... wie ist das mit dieser neuen Kur?«
Wie wenn eine starke Welle sich gegen einen wirft und man taumelt und müht sich vergebens, ihr standzuhalten, so versuchte ich, meiner maßlosen Bestürzung nicht nachzugeben. Dieses eine Wort hatte mir blitzhaft alles aufgeklärt. Ich, nur ich hatte diese neue, diese klingende Stimme in der Ahnungslosen aufgeschlossen, ich, nur ich hatte diese unselige Gewißheit in sie getan. Kekesfalva mußte ihr erzählt haben, was Condor mir anvertraut. Aber was hatte mir Condor eigentlich gesagt? ... Und was hatte ich meinerseits davon weiterberichtet? Condor hatte sich doch nur ganz vorsichtig geäußert, und ich, was mußte ich Narr meines Mitleids dazu erfunden haben, daß ein ganzes Haus sich erhellte, daß die Verstörten sich verjüngten, die Leidenden sich gesund vermeinten? Was mußte ...
»Nun, was ist los ... warum zögern Sie denn so herum?« drängte Edith. »Sie wissen doch, wie wichtig mir jedes Wort ist. Also – was hat Condor Ihnen gesagt!«
»Was er gesagt hat?« Ich wiederholte, um Zeit zu gewinnen. »Tja ... Sie wissen doch schon ... Sie wissen ja, durchaus Günstiges ... Doktor Condor hofft mit der Zeit auf die besten Resultate ... Er beabsichtigt, wenn ich nicht irre, eine neue Kur zu versuchen und erkundigt sich schon darum ... angeblich eine sehr wirksame Kur ... wenn ... wenn ich richtig verstanden habe ... ich kann's natürlich nicht beurteilen, aber jedenfalls können Sie sich auf ihn verlassen, wenn er ... ich glaube schon, ich glaube bestimmt, er wird schon alles richtig machen ...«
Doch entweder merkte sie mein Ausweichen nicht oder ihre Ungeduld überrannte jeden Widerstand.
»Aha, ich hab's immer gewußt, daß man so nicht vorwärtskommt. Man kennt sich doch selber am besten ... Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen sagte, daß das alles Unsinn ist, dieses Massieren und Elektrisieren und mit den Streckapparaten? ... Das geht doch viel zu langsam, wie soll man das auswarten können ... Da, sehn Sie, ich hab schon heut gleich, ohne ihn zu fragen, diese blöden Maschinen
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