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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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mehr zu versprechen. Wir achteten beide nicht auf die Blitze, die blau um uns flammten, und nicht auf das immer dringlichere Drohen des Donners. Wir blieben aneinandergepreßt, Rede und Lauschen und Lauschen und Rede, und noch einmal und noch einmal versicherte ich ihm in ehrlichster Gläubigkeit: »Ja, sie wird gesund werden, bald gesund, ganz gewiß gesund«, nur um immer wieder dies stammelnde »Ah« und »Gott sei Dank«, diese berauschte und berauschende Ekstase der Verzückung mitzufühlen. Und wer weiß, wie lange wir so noch gesessen wären, da fuhr plötzlich jener entscheidende letzte Windstoß heran, der einem jagenden Gewitter jedesmal vorausrennt und ihm gleichsam den Weg freistößt. In einem Riß beugten sich die Bäume, daß das Holz knirschte und knackte, Kastanien prasselten ihre prallen Geschosse auf uns herab und kreiselnd hüllte eine riesige Staubwolke uns ein.
    »Nach Hause, Sie müssen nach Hause«, stieß ich ihn empor, und er bot keinen Widerstand. Mein Zuspruch hatte ihn gekräftigt, gesundet. Nicht wie vordem schwankte er mehr; mit einer wirren und fliegenden Hast eilte er mit mir zu dem wartenden Wagen. Der Chauffeur half ihm ins Kupee. Nun erst ward mir leicht. Ich wußteihn geborgen. Ich hatte ihn getröstet. Jetzt würde er endlich schlafen können, der alte erschütterte Mann, tief, still und glücklich.
    Aber in dem knappen Moment, als ich ihm noch rasch die Decke über die Füße breiten wollte, damit er sich nicht erkälte, geschah das Erschreckende. Mit einem plötzlichen Griff faßte er meine Hände, die rechte und die linke, hart am Gelenk, und ehe ich mich wehren konnte, riß er beide auf zu seinem Mund und küßte die rechte und die linke und wieder die rechte und wieder die linke.
    »Auf morgen, auf morgen«, stammelte er dann, und fort stob der Wagen wie fortgetragen von dem nun eiskalt heranrasenden Wind. Ich stand erstarrt. Aber da schlugen bereits klatschend die ersten Tropfen los, es trommelte, prasselte, dröhnte hagelhart mir auf die Kappe, und die letzten vier, fünf Dutzend Schritte bis hinüber lief ich bereits im prasselnden Guß. Gerade als ich triefend am Tor der Kaserne anlangte, schmetterte ein Blitz nieder, straßenweit die stürmische Nacht erhellend, hinter ihm krachte der Donner, als risse er den ganzen Himmel mit sich herab. Ganz nahe mußte es eingeschlagen haben, denn die Erde wankte, und die Scheiben klirrten wie zertrümmert. Aber obwohl meine Augen von der jähen Blendung erstarrten, war ich doch nicht dermaßen erschrocken wie die eine Minute vorher, da der alte Mann in seiner rasenden Dankbarkeit meine Hand an sich gerissen und geküßt.
     
    Nach starken Erregungen wird auch der Schlaf stark und tief. Erst am nächsten Morgen ward ich an der Art meines Erwachens inne, wie völlig mich die Schwüle vor jenem Gewitter und nicht minder die elektrische Spannung des nächtlichen Gesprächs betäubt hatten. Ich fuhr auf aus gleichsam unermeßlichen Tiefen, starrte zuerst fremd dasgewohnte Kasernenzimmer an und machte vergebliche Anstrengungen, mich zu besinnen, wann und wie ich in diesen abgründigen Schlaf hinabgefallen. Aber zu geordnetem Zurückdenken blieb keine Zeit; mit jenem andern Gedächtnis, dem dienstlichen, das gleichsam abgesondert von dem persönlichen in mir soldatisch funktionierte, erinnerte ich mich sofort, daß heute eine besondere Übung angesetzt war. Unten gingen schon die Signale, hörbar stampften die Pferde, an der drängenden Art meines Burschen erkannte ich, daß es höchste Zeit zum Ausrücken sein müsse. Mit einem Ruck fuhr ich in die bereitgelegte Uniform, zündete eine Zigarette an, lief in einem Saus die Treppe hinunter auf den Hof, und schon ging es marsch, marsch mit der bereitgestellten Schwadron los.
    Innerhalb einer reitenden Kolonne existiert man nicht als eigene Person: im klappernden Schlag von hundert Hufen kann man weder klar denken noch träumen; eigentlich spürte ich in dem scharfen Traben nichts anderes, als daß unsere lockere Gruppe in den vollkommensten Sommertag hinaushottelte, den man sich erdenken konnte, der Himmel vom Regen bis auf das letzte Schleierchen und Wölkchen ausgewaschen, die Sonne stark und doch ohne Schwüle, jede Kontur der Landschaft scharf silhouettiert. Weit in die Ferne hinaus empfand man jedes Haus, jeden Baum, jedes Feld so wirklich und klar, als hielte man sie in der Hand; jeder Blumenstrauß an einem Fenster, jeder Rauchring am Dach schien in seinem Dasein durch die vehementen

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