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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ganzen Wege erregten, war eigentlich kaum verwunderlich. Seit Jahrzehnten hatte man im ganzen Umkreis nicht mehr die fürstliche Karosse und den Viererzug gesehen, und den Bauern schien ihr unvermutetes Neuauftauchen Vorankündigung eines fast übernatürlichen Ereignisses. Vielleicht dachten sie, wir führen zu Hofe oder der Kaiser sei gekommen oder sonst etwas Unvorstellbares passiert, denn wie weggemäht flogen überall die Hüte herab, begeistert liefen die barfüßigen Kinder uns endlos nach; begegnete uns auf dem Wege ein anderer Wagen, mit Heu beladen, oder eine leichte Landkalesche, so sprang der fremde Kutscher hurtig vom Bock und hielt mit abgerissenem Hut seine Pferde an, um uns vorbeizulassen. Uns gehörte selbstherrlich die Straße, uns wie in feudalen Zeiten das ganze schöne üppige Land mit seinen wogenden Feldern, uns die Menschen und dieTiere. Schnell freilich ging die Fahrt in diesem massigen Vehikel nicht vor sich, aber dafür bot sie doppelte Gelegenheit, viel zu beobachten und zu belachen, und davon machten vor allem die beiden Mädchen ausgiebigen Gebrauch. Immer bezaubert ja das Neue die Jugend, und all diese Ungewöhnlichkeiten, unser sonderbares Gefährt, die devote Ehrfurcht der Leute bei unserem unzeitgemäßen Anblick und hundert andere kleine Zwischenfälle steigerten die Stimmung der beiden zu einer Art Luft- und Sonnenrausch. Insbesondere Edith, die seit Monaten nicht richtig aus dem Hause gekommen war, funkelte ihren unbändigen Übermut hemmungslos in den herrlichen Sommertag hinein.
    Die erste Station machten wir in einem kleinen Dorf, wo eben die schwingenden Glocken zum sonntäglichen Kirchgang riefen. Durch die Felder sah man in den engen Durchlässen zwischen Acker und Acker die letzten Nachzügler dem Dörfchen zustreben; inmitten der sommerlich hohen Garben nahm man von ihnen nichts Weiteres wahr als bei den Männern die flachen seidenschwarzen Hüte und bei den Frauen die buntbestickten Hauben. Von allen Richtungen her zog wie eine dunkle Raupe diese wandernde Linie sich durch das wogende Gold der Felder, und gerade als wir durch die – nicht eben sehr reinliche – Hauptstraße zum flüchtenden Schrecken einiger schnatternden Gänse einfuhren, hielt die summende Glocke inne. Der Sonntagsgottesdienst begann. Und unerwarteterweise war es Edith, die stürmisch verlangte, wir sollten alle aussteigen und an der Andacht teilnehmen.
    Daß auf ihrem bescheidenen Marktplatz eine so unglaubwürdige Karosse anhielt, und der Gutsherr, den sie alle vom Hörensagen kannten, mit seiner Familie – denn dazu zählten sie mich anscheinend – gerade in ihrem Kirchlein der Andacht beiwohnen wollte, rief bei den biederen Landleuten mächtige Erregung hervor. DerMesner kam herausgelaufen, als ob dieser ehemalige Kanitz der leibhaftige Fürst Orosvár wäre, und teilte beflissen mit, daß der Priester mit dem Beginn der Messe warten wolle; ehrfürchtig gesenkten Hauptes bildeten die Leute Spalier, und sichtliche Rührung bemächtigte sich ihrer, sobald sie die Hinfälligkeit Ediths wahrnahmen, die von Josef und Ilona gestützt und geführt werden mußte. Immer erschüttert es gerade die einfachen Leute, wenn sie erkennen, daß Unglück sich nicht scheut, auch die »Reichen« gelegentlich grimmig anzufassen. Ein Rauschen und Raunen entstand, aber dann brachten die Frauen geschäftig Kissen heran, damit die Gebrechliche – selbstverständlich in der ersten Bankreihe, die sich rasch geleert hatte – möglichst bequem sitzen könne; fast hatte es den Anschein, als zelebriere dann der Priester für uns die Messe mit besonderer Feierlichkeit. Ich selbst wurde von der rührenden Einfachheit dieses Kirchleins sehr ergriffen; der helle Gesang der Frauen, der rauhe, etwas ungelenke der Männer, die naiven Stimmen der Kinder schien mir reinere und unmittelbarere Gläubigkeit zu bekennen als die viel kunstvolleren Zelebrierungen, wie ich sie im heimischen Stephansdom oder in der Augustinerkirche sonntäglich gewohnt war. Aber von eigener Andacht wurde ich wider meinen Willen abgelenkt, als ich zufällig auf Edith, meine Nachbarin, blickte und geradezu erschrocken bemerkte, mit welcher brennenden Inbrunst sie betete. Nie hatte ich bisher an irgendeinem Anzeichen vermuten können, daß sie fromm erzogen oder gesinnt sei; nun gewahrte ich eine Art des Gebets, das nicht wie jenes der meisten eine eingelernte Gewohnheit war; das blasse Gesicht gesenkt wie jemand, der gegen großen Sturm geht, die Hände

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