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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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niemand zur Stelle, um für unsere mächtig ausladende Karosse Platz zu schaffen; es war, als seien im ganzen Umkreis die Menschen vom, Boden verschluckt. Jedoch bald klärte sich diese übersonntägliche Leere auf, als Jonaks geschulte Hand mit der riesigen Peitsche einen Knall in die Luft hieb, der einem Pistolenschuß durchaus ähnlich war, denn kaum daß einige Leute erschrocken herbeiliefen, entstand ein heiteres Mißverständnis. Es ergab sich nämlich, daß der Sohn des reichsten Bauern der Gegend mit einer armen Verwandten aus einem anderen Weiler gerade Hochzeit feierte; vom Ende der für uns versperrten Dorfstraße, wo eine Scheune zum Tanz ausgeräumt worden war, stürzte jetzt; ganz blutrot vor Beflissenheit, der ziemlich korpulente Brautvater heraus, um uns zu bewillkommnen. Vielleicht glaubte er ehrlich, der weltbekannte Gutsherr von Kekesfalva habe eigens das Vierergespann anschirren lassen, um ihm und seinem Sohn die Ehre seiner Gegenwart beim Hochzeitsfest zu erweisen, vielleicht nutzte er nur aus Eitelkeit unser zufälliges Vorbeifahren aus, um bei den andern sein dörfliches Ansehen zu erhöhen. Jedenfalls bat er mit vielen Bücklingen, Herr von Kekesfalva und seine Gäste möchten gütigst, indes man die Straße räume, die Gnade haben, ein Glas seines eigenen ungarischen Landweins auf die Gesundheit des jungen Paars zu leeren; wir wiederum waren viel zu gut gelaunt, um uns einer derart wohlgemeintenAufforderung zu entziehen. So wurde Edith vorsichtig herausgehoben, und durch eine breite raunende und staunende Gasse ehrfürchtigen Volks zogen wir wie Triumphatoren in den bäuerlichen Tanzsaal ein.
    Dieser Tanzsaal erwies sich bei näherer Betrachtung als eine ausgeräumte Scheune, in der beiderseits über geleerten Bierfässern eine Estrade aus losen Brettern aufgebaut war. Rechts thronten an einem langen, mit weißem Bauernlinnen bedeckten und mit Flaschen und Speisen reichlichst bestandenen Tisch rings um das Brautpaar die Angehörigen der Familie sowie die unvermeidlichen Honoratioren, der Pfarrer und der Gendarmeriekommandant. Auf der gegenüberliegenden Estrade hatten die Musikanten sich niedergelassen, schnurrbärtige und ziemlich romantische Zigeuner, Geige, Baßgeige und Zimbal; auf dem festgestampften Tanzboden der Tenne drängten sich die Gäste, indes die Kinder, die in den überfüllten Raum nicht mehr Einlaß gefunden hatten, als muntere Zaungäste teils von der Tür aus zuguckten, teils von den Sparren des Dachstuhls ihre Beine niederbaumeln ließen.
    Selbstverständlich mußten sofort einige der minder noblen Verwandten von der Ehrenestrade abrücken, um uns Platz zu machen, und ein sichtliches Staunen über die Leutseligkeit der hohen Herrschaften hob an, als wir uns ohne jede Befangenheit unter die biederen Leutchen mischten. Vor Aufregung schwankend, holte der Brautvater eigenhändig einen mächtigen Krug Wein, füllte die Gläser und erhob die Stimme laut zu dem Ruf: »Auf das Wohl des gnädigen Herrn«, der sofort in begeistertem Echo bis weit hinaus auf die Gasse dröhnte. Dann schleppte er seinen Sohn und dessen neue Ehehälfte heran, ein scheues, etwas breithüftiges Mädchen, dem die festlich bunte Tracht und der weiße Myrtenkranz ein rührendes Aussehen verliehen; feuerrot vor Aufregung undungeschickt knickste sie vor Kekesfalva, respektvoll küßte sie Edith die Hand, die mit einmal sichtlich erregt wurde. Jedesmal wirkt ja auf junge Mädchen der Anblick einer Hochzeitszeremonie verwirrend, weil in diesem Augenblick eine geheimnisvolle Solidarität des Geschlechts sich der Seele bemächtigt. Errötend zog Edith das demütige Mädchen an sich, umarmte sie und nahm dann, sich plötzlich besinnend, einen Ring – es war ein schmaler altväterlicher, nicht sehr kostbarer Ring – vom Finger und steckte ihn der Braut an, die ihrerseits durch diese unvermutete Gabe völlig entgeistert war. Verängstigt blickte sie auf den Schwiegervater, ob sie ein derart großes Geschenk auch wirklich annehmen dürfe. Kaum daß dieser stolz zustimmend nickte, brach sie vor lauter Beglückung in Tränen aus. Neuerdings flutete eine begeisterte Welle von Dankbarkeit uns entgegen; von allen Seiten drängten die schlichten und gar nicht verwöhnten Leute herzu; man merkte ihren Blicken deutlich an, daß sie gern etwas Besonderes getan hätten, um uns ihre Erkenntlichkeit zu zeigen, aber keiner wagte es, an so hohe »Herrschaften« auch nur ein Wort zu richten. Zwischen ihnen stolperte die alte

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