Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
angeklammert an das Pult, die äußeren Sinne gleichsam nach innen gezogen, und nur unbewußt die Worte mitmurmelnd, verriet sie in ihrer ganzen Haltung die Gespanntheit eines Menschen, der einÄußerstes mit aufgebäumter und gesammelter Kraft erzwingen will. Manchmal zitterte die dunkle hölzerne Kirchenbank bis zu mir herüber, so inbrünstig ging das Erschüttertsein und Beben dieses ekstatischen Betens in das starre Holz. Ich begriff sofort, daß sie sich an Gott um ein Bestimmtes wandte, daß sie von ihm etwas wollte . Und was diese Kranke, diese Gelähmte begehrte, dies mitzufühlen war nicht schwer.
    Auch als wir Edith nach beendetem Gottesdienst wieder in den Wagen geholfen hatten, blieb sie noch längere Zeit ganz in sich gekehrt. Sie sprach kein Wort. Nicht mehr wandte sie sich übermütig neugierig nach allen Seiten: es war, als hätte diese halbe Stunde inbrünstigen Ringens ihre Sinne erschöpft und ermüdet. Selbstverständlich blieben wir gleichfalls zurückhaltend. Es wurde eine stille und allmählich schläfrige Fahrt, bis wir knapp vor Mittag im Gestüt anlangten.
    Dort freilich erwartete uns besonderer Empfang. Die Burschen der nächsten Umgebung hatten – offenbar von unserem Besuch verständigt – sich just die ungebändigten Pferde des Gestüts herangeholt und jagten uns in einer Art arabischer Fantasia in schärfstem Galopp entgegen. Prächtig waren sie anzusehen, diese sonnverbrannten jauchzenden Jungen, offen das Hemd, bunte, lange Bänder wegschwingend von den niederen Hüten, weiß und breit die Pampashosen; wie eine Beduinenhorde stoben sie auf den ungesattelten Pferden stürmisch heran, als wollten sie uns in einem Ruck überrennen. Schon spitzten unsere Gäule unruhig die Ohren, schon mußte mit angestemmten Beinen der alte Jonak die Zügel scharf halten, als sich die wilde Bande auf einen plötzlichen Pfiff hin kunstvoll zum geschlossenen Zuge formte, der uns dann als übermütiges Cortège bis zum Hause des Gestütsverwalters begleitete.
    Dort gab es für mich gelernten Kavalleristen allerhandzu sehen. Den beiden Mädchen dagegen brachte man die Fohlen heran, und sie konnten sich gar nicht fassen über die ängstlich neugierigen Tiere mit ihren eckigen, ungeschickten Beinen und dummen Mäulern, die noch gar nicht verstanden, den dargereichten Zucker richtig zu knabbern. Während wir alle so heiter beschäftigt wurden, hatte der Küchenbursche unter Jonaks sorglicher Leitung einen prächtigen Imbiß im Freien angerichtet. Bald erwies sich der Wein als dermaßen kräftig und gut, daß unsere bisher gedämpfte Fröhlichkeit sich immer übermütiger äußerte. Alle plauderten wir gesprächiger, kameradschaftlicher, unbefangener als je, und so wenig wie irgend ein Wölkchen den seidenblauen Himmel, überflog mich während all dieser Stunden der schattende Gedanke, daß ich dieses schmächtige Mädchen, das am herzlichsten, am lautesten, am glücklichsten von uns allen lachte, immer nur als Leidende, als Verzweifelte, als Verstörte gekannt oder daß dieser alte Mann, der die Pferde mit der Kenntnis eines Veterinärs prüfte und abtätschelte, mit jedem Burschen spaßte und ihnen Trinkgelder zusteckte, derselbe war, der mich vor zwei Tagen aus irrsinniger Angst wie ein Traumwandler nächtens angefallen. Auch mich selber erkannte ich kaum, so leicht und wie von warmem Öl aufgelockert gingen mir die Glieder. Ich probierte nach Tisch, während man Edith im Zimmer der Frau des Gestüts Verwalters ein wenig rasten ließ, hintereinander ein paar Pferde durch. Um die Wette sprengte ich mit ein paar der jungen Burschen über die Wiesen und empfand in diesem Lockerlassen der Zügel und meiner selbst ein nie gekanntes Gefühl der Freiheit. Ach, hier bleiben können, niemandem Untertan, frei in den freien Feldern, flughaft frei! Das Herz war mir ein wenig schwer, als ich, schon ganz ins Weite galoppiert, von fern den Ruf des Jagdhorns vernahm, das zur Rückkehr mahnte.
    Für diese unsere Rückkehr hatte der wohlerfahreneJonak der Abwechslung wegen einen andern Weg gewählt, vermutlich auch, weil diese Straße längere Zeit durch ein kleines kühlendes Wäldchen führte. Und wie schon alles glückhaft sich fügte an diesem gelungenen Tage, erwartete uns noch eine letzte, eine beste Überraschung; einfahrend in ein unscheinbares Zwanzighäuserdorf, erwies sich die einzige Straße dieses abgelegenen Fleckens als fast gänzlich versperrt durch ein Dutzend leere Leiterwagen. Sonderbarerweise fand sich

Weitere Kostenlose Bücher