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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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inneren To-do-Liste, während er das Skalpell beiseitelegte und die Chirurgenhände links und rechts des dunkel schimmernden Spalts platzierte. Mit einem fettigen Schmatzen lösten sich die beiden Bauchlappen von den darunterliegenden Organen, und dunkelgrüne Flüssigkeit sickerte heraus.
    Im Innern erwartete ihn der vertraute Anblick träge pulsierender Darmschlingen, doch dieses Mal wollte er sich nicht auf der Suche nach darunterliegenden Organen durch die weiche, warme Masse wühlen. Das, was ihn interessierte, lag weiter oben, und er hatte den Bauch lediglich geöffnet, um freier agieren zu können.
    Die unteren Rippen ließen sich gut abtrennen. Das Knacken des Knorpels erinnerte ihn an das Geräusch, das entstand, wenn ein Hund Schweinsohren kaute. Weiter oben wurde es schwieriger, weil die sichelförmigen Knochen hier direkt am Brustbein angewachsen waren. Aber eine Rippenschere war genau für so etwas gemacht. Mit leisem Knirschen gab die letzte Rippe nach, und er legte das an einen riesigen Nagelknipser erinnernde Instrument auf das Tuch. Der große Rippensperrer hielt nun den Brustkorb auseinander.
    Während Doctor Nex, den Schlachthofgeruch ausblendend,
links und rechts an der Lunge vorbei durch den Brustkorb schnitt, sinnierte er über die Vielzahl chirurgischer Instrumente nach, die es bei zahlreichen Anbietern im Netz gab. En fantasiebegabter Mensch konnte bei Bezeichnungen wie »Hirnspatel«, »Hirnspatelpinzette«, »Schädelstanze«, »Schädel-Bohrapparat«, »Schädelsäge« oder »Amputationssäge« auf interessante Ideen kommen. Kurz erinnerte er sich an eine Filmsequenz aus Hannibal , bei der einem minderbemittelten Detective unter örtlicher Betäubung der Kopf aufgesägt und das Hirn herausgelöffelt worden war. Leider war die Szene nur ganz kurz aufgeblitzt, sodass der Zuschauer keine Einzelheiten hatte erkennen können. Die Vorstellung jedoch zu untersuchen, wie der Proband sich bei solch einer Prozedur allmählich verändern würde, hatte etwas Faszinierendes.
    Endlich lag das Herz frei. Der Mann verscheuchte die Gedanken an Hannibal Lecter. Ihn erregten die Jagd und das Töten und nicht das Zerteilen der Beute. Diese Verrichtungen dienten nicht zum Vergnügen, sondern waren unerlässlich, um sein geplantes Kunstwerk fortzuführen. Unter der festgeklebten Kopffolie juckte es.
    Er hielt noch einmal inne und lauschte. En sanfter Wind war aufgekommen, fächelte seinem Gesicht Kühlung zu und brachte die Blätter der Bäume leise zum Rauschen. Er wehte auch den stärker werdenden Blutgeruch fort.
    En letzter Schnitt trennte das Herz vom umgebenden Bindegewebe, dann hob der Mann im schwarzen Anzug es vorsichtig heraus und ließ es über dem Brustraum abtropfen. Über dem weichen Nadelboden begann er dann, die feste helllederne Hülle um den Muskel zu entfernen. Den Herzbeutel konnte er in der Nähe des Körpers liegen lassen. Kleine Aasfresser würden ihn finden und fressen, noch ehe man die dazugehörige Leiche entdeckte. Das Jucken auf der Kopfhaut
nahm zu, und er schob den Zeigefinger vorsichtig unter die Folie und kratzte hingebungsvoll.
    Einen halben Meter vom Tischtuch entfernt, säuberte er auch die anderen herauspräparierten Stücke. Es war wie beim Pilzeputzen – nicht benötigte oder beschädigte Teile entfernte man gleich im Wald. Das ersparte einem zu Hause viel Arbeit. Nachdem alles in den Schraubgläsern verstaut und mit reichlich Brennspiritus übergossen war, kehrte er zu dem zurück, was von Susann Weiß übrig geblieben war. Wie eine weggeworfene Flickenpuppe lag sie auf ihrem Moosbett, die Arme unnatürlich verdreht. Im bleichen Leib klaffte ein großes, weit aufgerissenes dunkles Maul. Und drei grün schillernde Schmeißfliegen hatten das leckere Mahl auch schon für sich entdeckt. Er machte ein paar wedelnde Handbewegungen, und sie summten unlustig vom Körper nach oben, nur um sich gleich darauf wieder in der warmen Blutmasse niederzulassen und ihren Rüssel einzutunken.
    Doctor Nex schob das Nachtsichtgerät nach hinten – sodass es von Weitem wie ein am Oberkopf angewachsenes zweigabeliges Geweih aussah, und wartete eine Minute, bis sich seine Augen an das fahle Mondlicht gewöhnt hatten. Dann neigte er den Kopf nach vorn, betrachtete die beiden zur Seite geklappten Hautlappen und hielt dabei die Luft an. Die äußerste, schmale Schicht war außen weiß und innen dunkel. Dann folgte eine etwa einen Zentimeter breite helle Lage, ehe wieder dunkles Gewebe folgte.

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