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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Zeitungsredaktionen arbeiteten auch Frauen, und doch nahm jeder automatisch an, die Artikel würden von Männern verfasst. Wer hätte gedacht, dass »LB« eine Frau war! Dazu so eine hübsche.
    Er hatte sich bezwingen müssen, nicht laut herauszuplatzen. Zum Glück beherrschte Doctor Nex zu jeder Zeit jeden Muskel seines Körpers, und das kurze Aufblitzen seines Interesses hatte mit Sicherheit keiner von beiden bemerkt. Dazu war die Verkleidung zu gut.
    Abgelenkt von Gestank und widerlichen Klamotten waren die beiden Gestalten in der Redaktion gar nicht auf die Idee gekommen, in ihm etwas anderes zu sehen als einen unrasierten, schmierigen Penner.
    Kleidungsstücke aus dem Kleidercontainer, eingerieben mit diversen Resten aus einer Gaststättenmülltonne, darauf uriniert, Schnaps darübergegossen. En bisschen Schmiere auch im Gesicht, ein schleimiger Rotzklumpen an der Nase. Das hielt die Leute davon ab, ihn zu lange anzusehen. Das Beste war die Perücke gewesen. Mutters braungraue, schulterlange Fusselfrisur hatte schon viele Jahre auf ihren Einsatz gewartet. Wahrscheinlich wäre die alte Hexe zutiefst empört gewesen, wenn sie gesehen hätte, wie er Speiseöl in den Spitzen ihrer Lieblingsperücke verteilt hatte. Damit man den Haaransatz nicht sah, hatte er sich zusätzlich noch eine schmuddelige Baseballmütze aufgesetzt.
    Die Scharade hatte großen Spaß gemacht. Doctor Nex
grinste, betrachtete abschließend die Arbeit der vergangenen Nacht und erhob sich dann, um die Utensilien wegzuräumen. Sein Kunstwerk nahm allmählich Gestalt an, auch wenn noch ein paar Teile fehlten.
    Nachdem die gutbürgerliche Küche wieder hergerichtet war, öffnete er das Fenster. Die Nacht lag in den letzten Zügen. Die ersten Amseln begannen, verschlafen zu zwitschern. Ihnen war es egal, ob Wochenende oder Arbeitstag war. Sie sangen immer zur gleichen Zeit die ewig gleichen Lieder.
    Er atmete die kühle Luft, hob die Arme über den Kopf, streckte sich. Zeit für einen starken Kaffee. Müde war Doctor Nex jedoch nicht. Der Zufall hatte ihm ein hübsches kleines blondes Fräulein vorgestellt. Was ihn wieder zu seinem eigentlichen Anliegen zurückführte. Sicher – gestern hatte die Abendpost seinen Brief in vollem Wortlaut abgedruckt, aber das war es nicht, was er wollte.
    Heißer Dampf brodelte aus der Schnauze des Wasserkochers und kondensierte in der kühlen Luft zu weißem Nebel. Die falschen Angaben sollten vom ursprünglichen Verfasser – von Lara Birkenfeld also – richtiggestellt werden. Sosehr er sie mochte, das würde sie für ihn erledigen müssen. Und zu diesem Zweck würde er ihr ein bisschen nachspionieren. Beim Verfolgen kam ihm bestimmt eine Idee, wie er sie überzeugen konnte, den entsprechenden Artikel zu schreiben. Kochendes Wasser sprudelte in die große Tasse. Kaffeepulver strudelte im Kreis und senkte sich zu Boden. Der Mann rührte gedankenverloren und dachte über sein erdbeerblondes Püppchen nach. Zuerst musste er eine neue Verkleidung kreieren, ihr dann folgen, den Tagesablauf erkunden und sein weiteres Vorgehen planen.
    Er nahm einen Schluck Kaffee und verbrannte sich fast die Zunge. Das würde ein ereignisreiches Wochenende werden.

     
    »Ja sicher.« Lara hörte zu, wie Mark ihr zum hundertsten Mal erklärte, dass sie nicht in Gefahr sei und sich beruhigen sollte. Es war bereits Samstagmittag, und sie fühlte sich noch immer wie gerädert. In ihrem Brustkorb loderten kleine Flämmchen, züngelten und leckten. Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen und versucht, die Bilder des schmierigen Penners, des Pakets und der hektischen Betriebsamkeit der Spurensicherung zu verdrängen, aber sie waren immer wieder hochgeblubbert wie faulige Gasblasen, bis sie entnervt aufgestanden war und sich eine heiße Milch geholt hatte.
    Als auch das nichts helfen wollte, hatte Lara zwei Stunden ferngesehen, belanglosen Mist, an den sie sich schon Minuten später nicht mehr erinnerte, war dann in ihr Bett zurückgekehrt und irgendwann zwischen vier und fünf in der Frühe eingeschlafen.
    Sie goss sich ein Glas Milch ein – Kaffee hätte sie jetzt nur noch mehr aufgewühlt – und nickte zu Marks Worten. Ja, ja. Er hatte sicher recht damit, dass der eigentliche Täter nicht wissen konnte, wer »LB« in Wirklichkeit war, und sie sich demnach nicht in Gefahr befand, aber ihr Unterbewusstsein wollte den Beteuerungen trotzdem nicht glauben.
    Die Milch schmeckte nach nichts. Lara goss das halbvolle Glas in den Ausguss,

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