Ungeplant (German Edition)
an mir vorbei. Sie geht gleich durch in die Küche und packt den Wein in den Kühlschrank.
Mit Max auf dem Arm, den ich gerade erst aus der Badewanne gehoben habe, gehe ich ins Schlafzimmer, um ihn abzutrocknen und anzuziehen.
Immer noch kämpfe ich gegen die Tränen, als Jenny sich in den Türrahmen lehnt und uns beobachtet.
Er kann mich nicht ertragen.
„Hat der Kleine schon Schlafenszeit?“, fragt sie.
„So gut wie. Er bekommt noch eine Flasche.“
„Die im Flaschenwärmer steht?“
„Genau die.“
Ich wische mir die verräterischen Tropfen aus dem Augenwinkel und wickele Max in eine frische Windel.
„Lass mich.“
Jenny drängt mich vom Wickeltisch weg und zieht Max weiter an.
„Na los, geh duschen. Ich kümmere mich drum. Du kannst ihm gleich noch eine gute Nacht wünschen und ein Lied singen, oder was auch immer ihr macht.“
Unbewegt stehe ich weiterhin neben ihr und beobachte sie.
„Geh, Melina. Ich bin mit vier jüngeren Geschwistern aufgewachsen. Außerdem bin ich nicht zum ersten Mal mit ihm alleine. Ich bekomme das hin.“
Widerwillig schlurfe ich zur Dusche, auch wenn ich weiß, dass ich mich danach besser fühlen werde. Trotz der hohen Außentemperatur drehe ich das Wasser auf die höchste erträgliche Temperatur. Ich schäle mich aus meiner Kleidung und lasse mich gleich auf den Boden der Dusche sinken. Unter dem heißen Duschstrahl lasse ich meinen Tränen freien Lauf und beiße in mein Handgelenk, um die Schluchzer zu unterdrücken.
Nach zwei Gläsern Wein und einem halben Stück Pizza fühle ich mich zwar nicht wirklich besser, aber nicht mehr ganz so angespannt.
Gemeinsam sitzen wir auf dem Balkon und haben die Füße auf dem Geländer abgelegt. Jenny schüttet mir Wein nach und wartet immer noch darauf, dass ich etwas sage. Bisher weiß sie nur, dass ich Stress mit Sven habe.
„Ich hab es diesmal echt verbockt“, flüstere ich und starre in das Glas mit der blutroten Flüssigkeit.
„War nur eine Frage der Zeit“, kommentiert Jenny trocken.
Ich nehme es ihr nicht übel. Es ist ihre Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
„Jakob hat mich geküsst. Ich hatte gar keine Chance, ihn wegzustoßen, da stand schon Sven im Raum. Er denkt jetzt, ich hätte es gewollt und er gibt mir keine Chance, es zu erklären.“
„Was machen wir mit dir, Melina? Wann kapierst du es endlich?“
Ich kippe mein volles Weinglas in einem Zug runter, um mich vom Heulen abzulenken.
„Das Problem ist, dass ich es kapiert habe.“
So langsam macht sich der Alkohol bemerkbar und meine Worte kommen nicht mehr ganz so klar raus.
„Jenny, ich wollte mit ihm reden. Ich muss wissen, ob er wirklich schon für die Verantwortung bereit ist. Max gehört zu mir und ich kann ihn in der Sache nicht ausblenden. Aber ich wollte mit diesem Gespräch warten, bis sein Vater die OP hinter sich hat. Er hat den Kopf voll und deswegen wollte ich ihn nicht noch damit belasten.“
„Ihr macht es mit jedem Tag schlimmer. Manchmal möchte ich euch mit den Köpfen zusammenhauen.“
Jenny stöhnt genervt und greift nach der zweiten Flasche Wein. Ich lehne ab, sonst werde ich nachher nicht wach, wenn Max weint.
24.
Drei Tage lang höre ich nichts von ihm. Ich lasse ihn in Ruhe, weil ich denke, dass er den Abstand braucht, um sich abzuregen und wieder klar zu sehen.
Bis ich feststelle, dass ein Notizbuch fehlt. Mit zitternden Fingern durchkämme ich die ganze Wohnung. Ich könnte schwören, es waren 15. Aber jetzt zähle ich nur noch 14. Die Nummer 15, und damit das letzte Buch, ist spurlos verschwunden.
Ich krabbele sogar unter mein Bett und kippe den gesamten Wäschekorb aus, doch es ist weg. Meine Suchaktion grenzt schon an Hysterie.
Ausgerechnet das einzige Buch, dass ich noch nicht gelesen habe.
- Hast du das letzte Notizbuch gesehen? Ich kann es nicht mehr finden. Lina -
- Hab ich mitgenommen, als ich meine Sachen geholt habe. Ich hatte nicht den Eindruck, dass du es noch lesen wolltest. -
Die Tragweite seiner Aussage wird mir erst nach einem Moment bewusst. Ein Rundgang durch meine Wohnung bestätigt das. Ich habe nicht bemerkt, dass er hier war. Seine Zahnbürste und sein Duschgel fehlen, sowie die Wechselklamotten in der Schublade, die ich für ihn freigemacht habe. Sein Schlüssel liegt auf der Dielenkommode. Er ist tatsächlich weg und ich habe es noch nicht einmal bemerkt.
Nur die Anwesenheit von Max bewahrt mich vor einem kompletten, emotionalen
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