Ungeschoren
sei gut. Alles sah wieder hell aus. Da starb sie plötzlich. Die Ärzte waren ratlos und murmelten etwas von ständigem Risiko und unvorhergesehenen Komplikationen.«
»Das war also Ende Januar? Wurde keine Obduktion vorgenommen?«
»Ich wurde nie gefragt. Und als mir der Gedanke kam, war es schon zu spät. Das Beerdigungsinstitut hat sie sehr schnell eingeäschert. Ich brauchte einige Zeit, um meine Trauer und alle wahnsinnigen praktischen Probleme zu überwinden, bevor ich anfing, Nachforschungen anzustellen. Es wurde mir immer klarer, dass die Krankenschwester, die Irina betreute, die Schuldige war. Mein Zorn wuchs. Als ich endlich bereit war, sie zur Rede zu stellen, hatte sie das Land verlassen. Es dauerte ein wenig, sie zu finden.«
»Aber als Sie sie gefunden hatten, beschlossen Sie, sie zu ermorden.«
»Nicht ermorden. Gerechtigkeit einzufordern.«
»Manfred Rache.«
Mateusz Kohutek lachte. »Ja«, sagte er. »Manfred the Man.«
»Und die Axt?«
»Auf dem Weg zwischen Helsingborg und Linköping habe ich eine Axt gekauft. Kann der Ort Mjölby geheißen haben?«
»Am Freitag, dem siebten, sind Sie in Frauenkleidern in ihre Abteilung im Krankenhaus Huddinge gegangen. Warum warteten Sie danach bis Montagabend?«
»Ich habe sie nicht gefunden. Sie war das ganze Wochenende weg. Ich musste warten, bis sie zur Arbeit kam, und ihr dann vom Krankenhaus zu ihrer Wohnung folgen.«
»Und dann haben Sie Ihre neu gekaufte Axt benutzt …«
»Es war nicht meine Axt.«
»Wieso?«
»Es war ein … Mysterium.«
»Erzählen Sie.«
»Es war Montagabend. Ich kam zu ihrer Wohnung. Die Axt trug ich in einer Tasche. Ich blieb vor der Tür stehen und öffnete die Tasche. Ich steckte die Hand in die Tasche und ergriff die Axt. Dann klingelte ich. Niemand öffnete. Schließlich drückte ich die Klinke herunter. Die Tür war offen. Und sie lag da, genau hinter der Tür. Mit einer Axt im Kopf. Es war Wahnsinn. Als hätte jemand meine Gedanken gelesen.«
Kerstin Holm schloss die Augen. Sie sah eine vage Bewegung an einer Zimmerdecke. Aber nicht mehr. »Sie sind also unschuldig?«
»Das«, sagte Mateusz Kohutek, »ist eine Frage der Definition.«
27
Arto Söderstedt hatte normalerweise kein Problem damit, die Arbeitsaufgaben zu wechseln. Man musste sich zwar in ziemlich vieles einlesen, doch damit hatte er keine größeren Schwierigkeiten. Außerdem war es sicher von Vorteil, den Fall mit Lars-Inge Runström und Kalastelevision zu den Akten zu legen. Oder vielleicht eher, ihn ruhen zu lassen. Es schien nicht möglich, Runström dazu zu bringen, sich zu erinnern, was er da in der Garage gesehen hatte. Das ›Wesen‹, auf das er zwei Schüsse abgegeben hatte. Es ging nicht. Sie kamen nicht weiter.
Es sei denn, Viggo Norlander in seiner Abgeschiedenheit hätte einen Geistesblitz. Was ungefähr so wahrscheinlich war wie die Verwandlung des Åreskuta in einen aktiven Vulkan, der halb Jämtland in seinen heißen Lavaströmen ertränkte.
Arto Söderstedt war inzwischen Mitglied einer archäologischen Expedition im fünften Jahrtausend, die mithilfe fabelhafter Technik einen Raum nach dem anderen im sogenannten neuen Pompeji freilegte. Das sündige Åre aus dem frühen dritten Jahrtausend wurde in seiner ganzen versteinerten Nacktheit bloßgelegt.
Damals hatten sich die neuen Supermächte gebildet, ein im Lauf der Geschichte stets sicheres Zeichen für den Untergang einer Zivilisation. Ein Historiker in einem eigentümlichen Weltraumhelm (okay, hier ließ seine Fantasie ihn ein wenig im Stich) blieb plötzlich in einem Raum mit acht versteinerten Gestalten stehen, die in einer wahren Orgie begriffen waren, und sagte: ›Gelehrte Kollegen. Halten wir einen Moment inne, und versuchen wir, aus dem, was in jenen törichten Jahrzehnten geschehen ist, eine Lehre zu ziehen. Die eigenständigen Kulturen in Europa wurden zugunsten eines Superstaats aufgelöst, der den Superstaat, zu dem er eine Alternative darstellen sollte, leider nur imitierte. Die Vereinigten Staaten von Europa wurden nichts anderes als ein siamesischer Zwilling der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Auswuchs. Kultur und Bildung und andere zeitraubende Phänomene wurden ersetzt durch Genusssucht und das Bedürfnis nach schneller Unterhaltung, die sich für die Beteiligten nicht selten so auswirkten, dass sie pflegebedürftig wurden. Die Gladiatoren der Zeit, Fußball- und Eishockeyspieler, wurden so hart angetrieben, dass ihre Körper ganz einfach zerfielen.
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