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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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veilchenblaues Auge zusammen mit dem Umstand, dass sie den linken Arm in der Schlinge trug, ließ ihn zu der Einsicht kommen, dass er sehr, sehr behutsam vorgehen musste.
    »Marja-Liisa Niemelä?«, sagte er leise.
    Nicken im Türspalt. Er zeigte seinen Ausweis und sagte:
    »Darf ich hereinkommen? Es geht um Ihren Mann Juha-Pekka Niemelä.«
    Sie wandte den Blick zu Boden und öffnete schließlich die Tür. Er betrat eine erstaunlich sauber geschrubbte Küche. Er wartete auf sie. Sie zeigte auf die Küchenbank. Er setzte sich. Sie setzte sich nicht.
    »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie sich setzen«, sagte Arto Söderstedt.
    »Ich stehen.«
    »Möchten Sie, dass wir finnisch sprechen? Ich bin auch aus Finnland. Aus Vasa.«
    Marja-Liisa Niemeläs Gesicht leuchtete auf, und sie sagte auf Finnisch: »Ich bin aus Seinäjoki. Nicht weit von Vasa.«
    »Da sehen Sie«, fuhr Arto Söderstedt in der gleichen Sprache fort. »Skandinavien ist nicht so groß. Können Sie sich denken, warum ich hier bin?«
    »Ich bin nur froh, dass er weg ist«, sagte Marja-Liisa Niemelä und setzte sich. »Je länger, desto besser.«
    »Warum zeigen Sie ihn nicht an?«
    Sie lächelte schwach. Nicht direkt bitter, nur schwach.
    »Was spielt das noch für eine Rolle, jetzt, wo er tot ist?«
    »Wissen Sie, dass er tot ist?«
    »Warum wären Sie sonst hier?«
    »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
    »Als er das hier gemacht hat«, sagte sie und hob den Arm in der Schlinge. »Es ist wohl eine gute Woche her.«
    »Und das da?«, sagte Söderstedt und zeigte auf ihr blaues Auge.
    »Das war beim Mal davor. Vor etwa zwei Wochen.«
    »Ist er häufiger eine Woche lang weg?«
    »Nein.«
    »Aber Sie haben ihn nicht als vermisst gemeldet?«
    »Nein.«
    Söderstedt betrachtete ihr geläutertes Antlitz. Alle diese Zeichen von Misshandlungen, die irrationalen Selbstvorwürfe, der große Verrat, der ein für alle Mal ihren Blick hatte erlöschen lassen, die Gefühle, die sie einmal in die Irre geführt hatten und die sie für den Rest ihres Lebens bestrafen würden. Das Festgefahrensein. Die Hilflosigkeit. Die Hölle mitten unter uns.
    Und die Unfähigkeit, das Fegefeuer zu verlassen.
    »Juha-Pekka ist tot«, sagte Arto Söderstedt. »Er ist ermordet worden.«
    »Ermordet?«, sagte Marja-Liisa Niemelä ohne irgendein ersichtliches Gefühl.
    »Ja. Auf ziemlich unschöne Art und Weise. Haben Sie hier im Haus eine Tischlerwerkstatt?«
    Sie sah ihn von der Seite an. Dann lächelte sie dünn und stand wortlos auf. Er folgte ihr. Sie kamen an eine Tür. Sie hielt inne und warf ihm einen eigentümlichen Blick zu. Er verspürte einen klitzekleinen Stich von Beunruhigung, und die ließ nicht nach, als sie die Tür zu einer kohlschwarzen Kellertreppe öffnete. Sie machte eine Geste zu der Schwärze hin. Er blickte hinein, trat einen Schritt vor und blieb stehen.
    »Gehen Sie vor«, sagte er.
    Erst in diesem Augenblick kam ihm ernstlich der Gedanke, dass Marja-Liisa Niemelä eine Mörderin sein könnte.
    Sie stieg vor ihm hinab in das feuchtkalte Dunkel. Es roch streng, erdkellerstreng. Und da war noch ein anderer Geruch, ein Hintergrundgeruch, schwächer, beunruhigender. Die zehn Sekunden, in denen es vollkommen schwarz um ihn her war, dauerten eine Ewigkeit. Seine Herzfrequenz stieg deutlich. Einen kurzen Augenblick lang war er davon überzeugt, dass sie verschwunden war, in ein dunkles, von Feuchtigkeit triefendes Lagerlokal, um ihn dann niederzuschlagen und ihn auf einem einzementierten Metallstuhl festzuzurren, den Nacken an einer Stange befestigt, die hinter dem Stuhlrücken aufragte. Fest gespannte Lederriemen um Hals, Arme und Beine. Vergebliche Versuche, sich wegzudrehen. Dickes silbernes Klebeband um den Mund.
    Und dann das Geräusch, als die Säge eingeschaltet wird.
    Stattdessen wurde ein schwaches Licht eingeschaltet. Marja-Liisa Niemelä stand wie ein gefallener Engel in dem flackernden Licht und zeigte auf eine Tischlerbank in einer Ecke des kleinen Kellers. Links von der Tischlerbank lag Gerümpel in Kisten in einem einsturzgefährdeten Regal. Söderstedt trat an das Regal. Ganz oben in einer der Kisten lag eine Stichsäge.
    Auf dem Sägeblatt waren Flecken. Dunkelrote Flecken.
    Er ließ die Finger davon. Damit konnten sich andere befassen.
    Links von der Tischlerbank war eine Tür. Arto Söderstedt trat an die Tür. Sein Herz schlug noch immer ziemlich schnell. Er warf einen raschen Blick auf die Frau, die noch immer ganz still dastand, und öffnete die

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