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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Bild von ihm gemacht. Die Überwachungskameras unten im Eingang …«
    »Wie wurden die Fotos übrigens geliefert? Erinnert sich jemand daran? Haben wir die Verpackung noch? Schreibst du das alles auf, Chefin?«
    »Auf meinem inneren Flipchart«, sagte Kerstin Holm.
    »Vergessen wir etwas?«
    Arto Söderstedt zwinkerte seltsam in dem langsam dämmernden Mittsommerlicht, das aus dem Innenhof des Präsidiums hereinfiel.
    »Wir nicht«, sagte er. »Ich.«
    »Was denn?«
    »Paul hat Jons Messerstecher gefunden. Ich habe vergessen, das zu sagen.«
    »Paul? Paul Hjelm?«
    »Es ist ein ehemaliger Polizist, ein alter Kollege von Jon. Paul schickt das Material herüber. Bengt Eriksson heißt er.«
    Kerstin Holm schloss die Augen. Es wurde fast zu viel.
    Als sie sie wieder öffnete, glühte die ganze Ecke an der Decke von einem goldenen Licht. Wie ein Engelsflügel.
    Und das leuchtende, glühende Muster war verblüffend.
    Sie stand auf, und das enorme Gewebe blieb da. Es war endlich sichtbar. Von allen Seiten.
    Aber die Spinne war immer noch nicht zu sehen.

29
     
    Mittsommer ist die Zeit, in der die Elfen erwachen. Wichte und Heinzelmännchen, Zwerge und Geister, Trolle und Gnome beginnen sich zu rühren, erwachen aus ihrem langen Winterschlaf. Die Zeit nähert sich, in der alles Tote neues Leben gewinnen soll. Sie werden vom Mittsommerduft angezogen, der vielleicht von der Farnblume kommt, die nur in der Mittsommernacht blüht.
    Wenn Menschen von Elfen berührt werden, spüren sie es, aber sie wissen nicht, was es ist. Ein Streicheln, ein Schauer, eine leichte Kälte, die rasch zu Wärme wird. Jeder hat es einmal gespürt.
    In dieser Nacht bewegen sie sich vorsichtig durch Stockholm. Sie sind überall, und niemand bemerkt sie. Nicht bewusst. Sie halten sich abseits, beschnuppern die Zeit, suchen das Tote, Erstarrte auf, lernen, worauf sie zielen müssen. Wenn die Zeit kommt.
    Sie sind überall. Sie sind immer gegenwärtig. Und niemand weiß es.
    Es ist die Nacht auf Donnerstag, den Tag vor der Sommersonnenwende, und die Zeit hat die Geschwindigkeit gewechselt. Die Woche hat sich schnell bewegt, schneller als gewöhnlich, und viel ist geschehen.
    Bald wird es dunkler in Schweden.
    Zwar gibt es Menschen, die schlafen – doch andere sind wach. Gunnar Nyberg schläft. Ludmila an seiner Seite im Bett in der Wohnung in Nacka ist wach und liest ein Buch. Als sie das Licht löscht, spürt sie deutlich, wie etwas schwach über ihren Rücken streicht. Sie gibt es weiter an ihren großen Grobian. Lena Lindberg schläft. Sie schläft in einer Wohnung in der Birkagata, auf dem Fußboden neben einem Kinderbett, eine Hand durch das Gitter gesteckt. Sie berührt eine kleine schlafende Wange. Kurz vor der Tür rutscht Jorge Chavez an der Treppenkante ab und bekommt einen saftigen blauen Fleck am Schienbein. Sara Svenhagen wendet sich mit einem Lachen um und zieht ihn hoch. Er stößt einen derben Fluch aus. Das Paar bewegt sich ein kleines bisschen unsicher. Als hätten sie auf dem Rückweg vom Kino das eine oder andere Wasserloch aufgesucht. Als sie Lena wecken und Isabel ein kleines Grunzen von sich gibt, als Lena die Hand wegzieht, spürt Lena das Streichen über den Rücken. Und da spüren sie es auch. Viggo Norlander schläft, er schläft in der Banérgata, quer im Doppelbett, zu jeder Seite ein kleines schniefendes Wesen, beide haben die Hände ausgestreckt nach dem, was er fest in der Hand hält. Eine Rassel. Der Platz für Mama Astrid wird ständig kleiner, und als sie aus dem Bett plumpst und er für einen kurzen Augenblick glaubt, hellwach zu sein, spürt er, wie ihm etwas am Rückgrat entlangstreicht. Arto Söderstedt schläft. In der Wohnung in der Bondegata, dicht neben seiner Anja, träumt er, dass er sich in einem Keller befindet und dass eine Stichsäge losrattert. Als ihm ein Stück seiner Schädeldecke in den Mund gedrückt wird, sollte er spätestens aufwachen, kalt von Schweiß; stattdessen wird sein erregtes Gemüt von einem leichten, leichten Streichen über den Rücken zur Ruhe gewiegt. Und Jon Anderson schläft. Er ist weit weg. Dennoch sieht er die Rentiere auf die Heide hinaustreten und vorsichtig witternd am nebelschimmernden Waldrand innehalten. Die Elfen tanzen in dieser Mittsommernacht. Und bis nach Polen hinunter spürt er, wie sie über seine vielen Stichwunden streichen, wo das Messer fast ganz durch den Körper gedrungen ist.
    Aber es gibt andere, die nicht schlafen, obwohl sie im Bett liegen. Obwohl sie

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