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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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tippen, dass ungefähr fünfzig Prozent Weibchen sind.«
    »Aha.«
    Es war ein reichlich kompliziertes Gespräch.
    »Was du sagst, ist alles richtig«, sagte Hultin nach einer angestrengten Pause und fügte nach einer noch angestrengteren hinzu: »Ich werde die Wahl meiner Nachfolgerin wohl nicht bereuen müssen.«
    Dann fasste er sich und fuhr fort: »Jon Anderson ist, wie er ist, weil er in seiner Zeit in Uppsala groben schwulenfeindlichen Schikanen ausgesetzt war. So grob, dass zwei der Kollegen entlassen wurden. Und wir reden nicht von Kinkerlitzchen, wenn wegen eines schwulen Bullen in diesen Zeiten absoluten Polizeimangels zwei tüchtige Kollegen entlassen werden. Sein IQ zeigt die höchsten Werte, die gemessen worden sind, seit es solche Messungen gibt, aber es ist eine Intelligenz, die noch nicht die Chance hatte, in die Praxis umgesetzt zu werden. Eine Art von reiner, geschützter Intelligenz, und du, Kommissarin Holm, wirst die Chance haben, sie zu formen. Und ja, er ist äußerst gut strukturiert. Lass ihn auf dem Flipchart zeichnen, damit ein wesentlicher Teil der Tradition nicht vernachlässigt wird.«
    »Es ist nicht die Praxis der A-Gruppe, Neuankömmlinge anzulernen.«
    »Eine Praxis ist keine Praxis, wenn sie nicht jederzeit angepasst werden kann. Veränderungen sind nicht per se von Übel. Auch wenn ich weitgehend mit dir darin übereinstimme, dass die A-Gruppe mit Paul Hjelm stand und fiel. Aber das würde ich nie vor jemand anderem als dir zugeben. Außerdem hast du ja eine ganz eigene Wahl treffen können. Lena Lindberg.«
    »Dein Tonfall entgeht mir nicht«, sagte Kerstin Holm.
    Hultin kicherte. »Ich habe wirklich geglaubt, es wäre ein Scherz«, sagte er. »Bauchnabelpiercing und zerrissene Jeans. Als wäre sie über einen Stacheldrahtzaun geklettert, runtergefallen und auf einer Heftzwecke gelandet. Ich hoffe, du weißt, was du tust.«
    »Ich brauchte den Gegenpol zu Jon Anderson«, sagte Kerstin Holm. »Erfahrung pur. Sie gehörte zehn Jahre lang zur Einsatztruppe der Citypolizei. Schwedens härtester Job. Massenweise Auszeichnungen. ›Nettester Polizist des Jahres‹ unter anderem.«
    »Gibt es so eine Auszeichnung?«
    »Wird von Stockholms Einzelhandel vergeben. Hast du das nicht gewusst?«
    »Hat sie noch etwas anderes als reine Polizeierfahrung? Ist sie überhaupt Kriminalistin?«
    »Frischgebackene Kriminalinspektorin. Und du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass sie gut ist. Vor allem bei Vernehmungen, wo wir jetzt gewisse Lücken haben. Ich glaube, dass sie und Sara ein gutes Paar werden können. Dem Anschein nach süß.«
    »Süß?«
    »Süße kleine Mädchen.«
    Das war das letzte ernsthafte Gespräch, das sie mit Jan-Olov Hultin geführt hatte. Und jetzt war er fort. Friedlich angelnd am See Råvalen ein Stück nördlich von Stockholm. Sie hatte das nun leere Zimmer übernommen.
    Leer bis auf einen Sohn.
    Sie betrachtete ihn. Er zeichnete eifrig. Sie hatte ihn nie in den Kinderhort gesteckt, weil sie so viel wie möglich mit ihm Zusammensein wollte. Es war möglich gewesen, weil sie nach dem letzten Fall aus Krankheitsgründen vorübergehend auf Teilzeit gesetzt worden war. Das brachte es mit sich, dass sie den Sommer über keine Betreuung für ihn hatte. Sie musste unbedingt etwas in dieser Angelegenheit unternehmen. Obwohl sie eigentlich keine Sekunde ohne ihn sein wollte. Das war der nicht ganz tadellose Anlass dafür, dass er hier saß und zeichnete.
    Jetzt nahm sie ihn an der Hand und zog ihn mit zur sogenannten Kampfleitzentrale, in der niemals irgendeine Kampfleitung stattgefunden hatte. Dagegen eine ganze Menge kollektiver Gedankenarbeit.
    Als sie die Hand auf den Türgriff legte, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, wie sehr Paul Hjelm ihr fehlen würde.
    Dann trat sie ein.
    In ihr neues Leben.

7
     
    Die junge Mutter fasste sich ein Herz und rief die Polizei an. Sie saß auf der Schaukel neben ihrem dreijährigen Sohn und kramte vorsichtig ihr Handy heraus. Nach der üblichen Verzögerung bei der lebenswichtigen Nummer 112 wurde sie – zitternd inzwischen – zur lokalen Polizeiwache in der Tulegata 4 in Vasastan durchgestellt.
    »Ja?«, sagte der Wachhabende in Vasastan.
    »Ja, hallo, ist da die Polizei?«
    »Ja.«
    »Endlich. Ich bin hier mit meinem Sohn auf dem Spielplatz im Vasapark. Hier sitzt ein sehr verdächtiges Individuum auf einer Parkbank. Ich glaube, er hat ein Kind geraubt.«
    »Sind Sie allein?«
    »Außer diesem zwielichtigen Typ, ja«, sagte

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