Ungeschoren
fragte die Frauenstimme.
Er antwortete nicht. Er dachte. »Welcher Art sind die Schikanen?«, fragte er schließlich.
»Teils sind es allgemeine Dinge, Spott, Ausgrenzung. Teils sind es … grobe Sachen.«
»Damit ich handeln kann, musst du offen reden.«
»Jaja. Ich hörte komische Geräusche aus dem Umkleideraum der Männer, spät eines Abends, als ich eigentlich nicht hätte da sein sollen. Sie wären normalerweise allein gewesen, die drei. Und sie gingen davon aus, dass sie es waren. Ich spähte hinein. Sie hatten ihn an die Kleiderhaken gebunden und …«
Pause. Atemlos.
»Ja?«, sagte Grundström.
»Reicht das denn nicht?«
»Erstens brauche ich alle Einzelheiten. Zweitens kannst du nicht anonym bleiben. Nicht auf Dauer.«
»Anonym muss ich bleiben. Sonst lege ich auf.«
»Dann tu das.«
Es war ein Standardtest. Was Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit betraf.
Kein Klicken.
»Er war nackt«, sagte die Frauenstimme schließlich. »Sie hatten ihm die Hände an die Füße gebunden. Den Hintern in die Luft. Und dann drückten sie ihm eine Gurke hinten rein. In den Anus.«
Grundström hatte bereits feuchte Hände. Die ganze Situation war unangenehm. Er hätte am liebsten nicht daran gerührt. Er wollte tun, was alle anderen taten: weggucken, Zeit vergehen lassen, so tun, als wäre nichts. Aber in diesem Augenblick veränderte sich alles. In diesem Augenblick bekam die allgemeine Politik der Polizei eine neue Richtung.
Er wurde ganz einfach wütend.
Niklas Grundström war klar, dass kein anderer etwas erfahren durfte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, den Entschluss zu fassen: Das hier musste er allein lösen. Ganz allein. Nur mit der anonymen Frauenstimme. »Okay«, sagte er langsam. »Ich verstehe.«
»Und jetzt unternimmst du nichts, oder wie? Es ist zu mühsam. Es kann nicht lange dauern, bis er von selbst seinen Abschied nimmt. Außerdem ist er es ja gewohnt, Dinge in den Arsch zu kriegen? Oder wie?«
»Nein«, sagte er, und seine Ruhe erstaunte ihn.
»Was machen wir also?«, fragte die Frauenstimme.
»Wir?«, sagte Grundström.
»Ja. Ich heiße Susanne Rydberg und arbeite im selben Bezirk. Er heißt Jon Anderson. Und die beiden sind Reine Claesson und Bengt Eriksson.«
Und dann lief es, wie es lief. Unter der Vorspiegelung, an einem Führungsseminar teilzunehmen, reiste Grundström nach Uppsala. Er bastelte sogar eine Einladung und schickte sie an seine Sekretärin.
Wieder draußen im Feld. Es war ein seltsames, ziemlich wunderbares Gefühl. Undercover. Er hielt sich in unmittelbarer Nähe der Polizeiwache auf. Er nahm ein Hotel nur einen Block weiter. Mithilfe von Polizeiassistentin Susanne Rydberg brachte er im Umkleideraum eine Abhörvorrichtung an. Ein paar ereignislose Tage später saß er beim Abendessen in seinem Hotel, den Stöpsel im Ohr. ›Schwule Sau‹, sagte der Stöpsel plötzlich. Er lief, wie er noch nie gelaufen war. Dennoch kam er nicht rechtzeitig, um die Tat zu verhindern. Immer noch auf einem Stück von seinem Entrecote kauend, stürzte er mitten ins Geschehen. Jon Anderson stand gefesselt im Duschraum, nackt, die Hände am Duschkopf festgebunden. Quer über seine Brust verliefen rote Peitschenstriemen, und Reine Claesson und Bengt Eriksson hielten jeder einen Gürtel in der Hand. Drohend. Zum ersten Mal seit zehn Jahren musste Niklas Grundström seine Dienstwaffe ziehen. Nach einigen kritischen Sekunden wussten Claesson und Eriksson, dass sie am kürzeren Hebel saßen. Dass der gut gekleidete Mann mit der Pistole tatsächlich der oberste Chef der Abteilung für Interne Ermittlungen war. Sie fingen an zu weinen. Anderson weinte nicht. Er verzog keine Miene. Eher betrachtete er Grundström mit leichter Verachtung. Es war äußerst sonderbar. Sie einigten sich auf einen Deal. Reine Claesson und Bengt Eriksson willigten ein, mit sofortiger Wirkung ihren Abschied einzureichen. So blieb ihnen ein Prozess erspart, und es würde nichts an die Öffentlichkeit dringen. Am Tag darauf versammelte Grundström alle Beamten des kleinen Distrikts und nahm sie ins Gebet. Er sagte Dinge über Toleranz gegenüber Andersdenkenden und über die Notwendigkeit von Selbstkritik bei der Polizei. Es wurde eine Brandrede.
Er wünschte sich, er hätte sie auf Band aufgenommen. Vermutlich würde er in seinem ganzen Leben nie wieder als ein so kluger Mensch dastehen. Der Distrikt versprach einhellig, Stillschweigen zu bewahren. Mit keinem Wort erwähnte er den Einsatz von Polizeiassistentin
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