Ungeschoren
Die eigentlich nicht besonders saftig sind. Die Medien allerdings stellen Schlagzeilenrekorde auf. Es heißt nicht mehr ›Vater füttert Vierjährigen mit Frauenleiche‹ oder ›Fünf Penisse am schiefen Turm von Pisa angenagelt‹ – diese erbauliche tägliche Lektüre für unsere Kleinen –, sondern ›Rabiater Fernsehhasser zerstückelt Fernsehchef‹. Lars-Inge Runström wurde schnell vom ›führenden Fernsehkritiker des Landes‹ zum ›psychotischen Gegner der Meinungsfreiheit‹.«
»Ich kenne seine Fernsehkritiken«, nickte Lindberg. »Sie waren zornig.«
Söderstedt nickte gleichfalls und fuhr fort: »Ein Mann, der es plötzlich satt hatte, sich für dumm verkaufen zu lassen. Am Ende ging er aber doch ein Stück zu weit. In der Nacht nach der ersten Livesendung der von der unabhängigen Produktionsfirma Kalastelevision entwickelten Serie ›Makeover‹ lief das Fass über. Statt Worten ließ er die Tat sprechen, packte eine Pistole ein und machte sich auf den Weg, den anerkannt hartgesottenen Programmleiter von Kalastelevision, Ronald Swärd, zur Rede zu stellen. Allem Anschein nach erschoss er ihn in der Tiefgarage von Kalastelevision, und zwar am Samstag, dem ersten Juni, um einundzwanzig Uhr zwanzig. Lars-Inge Runström selbst sagt aus, er sei, Zitat, ›vermutlich‹ schuldig. Aber er behauptet, sich an nichts zu erinnern. Nur daran, geschossen zu haben. Aber, wiederum Zitat, er ›erinnert sich an keine Menschen‹.«
»Und das ist also ein ›Gewaltverbrechen von internationalem Charakter‹«, sagte Jon Anderson säuerlich. »Im Unterschied zu anderen Morden.«
Die A-Gruppe betrachtete ihn. Neutral.
»Es ist auf jeden Fall nicht typisch schwedisch«, sagte Arto Söderstedt schließlich. »Heutiges Fernsehen ist in sehr geringem Ausmaß schwedisch. Außer möglicherweise der ›Chorabend auf Skansen‹. Mit Ricky Martin und Wyclef Jean.«
»Wer bearbeitet den Fall?«, fragte Lena Lindberg.
»Zunächst waren es alle«, sagte Kerstin Holm. »Aber jetzt sind es nur Arto und Viggo. Es gibt, wie gesagt, nicht mehr viel zu klären. Er hat ihn erschossen. Fragt sich nur, ob es Mord oder Totschlag war. Oder vielleicht Körperverletzung mit Todesfolge. Es werden Verhöre geführt. Gibt es dazu noch mehr zu sagen, Arto?«
»Nein, nicht direkt. Außer dass wir vermeiden, mit der Presse zu sprechen. Das gilt für alle. Und wir sprechen auch nicht mit Mörner. Das ist Kerstins Job. Ein Gehaltsbonus.«
»Jaja«, sagte Holm ungeduldig. »Dann kommen wir zu unserer Polin. Jon?«
Jon Anderson klappte seinen Laptop auf und las vom Bildschirm ab: »Polnische Krankenschwester namens Elzbieta Kopanska in Huddinge mit Axt erschlagen. Lebte aufgrund des akuten Krankenschwesternmangels in Schweden. Verzweifelter Schnellimport. Sommerjob im Krankenhaus Huddinge. Machte den Einführungskurs und einen Intensivkurs in Schwedisch. Zweiunddreißig Jahre, sehr geschätzt von den Kolleginnen. Wollte heiraten und in Schweden bleiben, war aber Single, soweit wir wissen. Vorübergehend wohnhaft in Hörningsnäs in Huddinge, am Abend des zehnten Juni in ihrer Wohnung mit einer Axt erschlagen. Am Tatort keine identifizierbaren Spuren. Keine Zeugen. Ziemlich hoffnungsloser Fall. Gunnar Nyberg und ich versuchen, ein Bild von Kopanskas Kontakten in Schweden zu erstellen und – soweit möglich – von ihrer Vergangenheit in Polen. Wir arbeiten mit der polnischen Polizei zusammen, doch es gibt gewisse Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit.«
Gunnar Nyberg sah seinen neuen Partner an, nur ein Partner auf Zeit, und war beeindruckt von dessen Fähigkeit, unklare Andeutungen zu machen, um seiner Kritik Ausdruck zu verleihen. ›Es gibt gewisse Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit‹ hatte nicht das Geringste mit der polnischen Polizei zu tun – die im Gegenteil ausgesprochen entgegenkommend war –, sondern bezog sich ausschließlich auf Nyberg. Der träumte buchstäblich von Chavez’ Rückkehr. Verglichen mit den jetzigen Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit, waren die, die er beim letzten Fall mit Chavez gehabt hatte, eine erfrischende Morgenbrise.
Kerstin Holm hatte keine Schwierigkeiten, mit unklaren Anspielungen umzugehen. Sie hatte ihren ehemaligen Partner bewusst mit Jon Anderson zusammengespannt, und zwar aus dem einfachen Grund, weil Gunnar das dickste Fell hatte. Ein wirksameres Hautverdünnungsmittel als Yes war schwer zu finden.
Sie hatte auch kein Problem damit, Yes zu verstehen. Statt seine albtraumartigen
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