Ungeschoren
gleichen Verhaltensweisen gegenüber dem Gesetz erwarten konnte wie bei den Einwohnern insgesamt. Die Polizei war nicht besser und nicht schlechter als der gewöhnliche Schwede, sie war kein moralisch unantastbares Elitekorps. Der durchschnittliche Polizeibeamte war ein recht normaler Mensch, dessen Ansichten und Verhaltensmuster recht normal waren. Wie für den Durchschnittsschweden waren gewisse Verbrechen tabu – Mord, Raub, Einbruch –, während andere akzeptabler waren – kleinere Diebstähle am Arbeitsplatz, Park- und Geschwindigkeitsvergehen, Steuerhinterziehung, Schnapsbrennen und (als Überbleibsel aus der bäuerlichen Gesellschaft) gewisse Formen nicht allzu brutaler Schlägereien.
Sowie – in den toten Winkeln der Selbsteinsicht – leichtere Formen von körperlicher Züchtigung bei Kindern, Misshandlung von Ehefrauen, Vergewaltigung, Volksverhetzung und Trunkenheit am Steuer.
Es war also nicht so selbstverständlich und einfach, die Wunde offen zu halten. Polizisten machten sich der gleichen Übertretungen und Vergehen schuldig wie alle anderen auch.
Niklas Grundström hatte seine Tätigkeit mit der Überzeugung angetreten, dass Polizisten bessere Menschen wären. Er musste seine Auffassung ziemlich schnell revidieren. Es war ganz einfach nicht möglich, solche Forderungen an derartig durchschnittliche Menschen zu stellen. Also ließ er seine Grundsätze fallen und richtete sich mehr auf die Polizistenrolle ein. Er lernte, mit der Kluft zwischen Theorie und Praxis zu leben. Und wurde auf diese Weise ein ganz gewöhnlicher Ermittler bei den Internen. Fügte sich ins System.
Allerdings konnte er die Utopie nicht ganz loslassen. Im Grunde war er weiterhin der Meinung, dass Polizisten bessere Menschen sein sollten.
Die bislang härteste Probe hatte im Herbst stattgefunden. Ein prinzipiell sehr wichtiger Fall, da es sich um eine große Bevölkerungsgruppe handelte, die die Polizei bis vor kurzem ausgeschlossen hatte. Obwohl es sie immer gegeben hatte. Viel länger als die Einwanderer. Ein anonymer Anruf von einer Polizeiassistentin aus Uppsala war bei ihnen eingegangen. Sie behauptete, dass es in einem bestimmten Bezirk einen schweren Fall von Mobbing gebe und dass sie sich nicht länger passiv verhalten könne. Aber sie habe keine Möglichkeit, den Kampf selbst aufzunehmen.
»Wird wieder einmal eine Frau gemobbt?«, seufzte Grundström. »Ich dachte, damit hätten wir Schluss gemacht. Du bist nicht zufällig diejenige, die gemobbt wird?«
Erst war es einen Moment still in der Leitung. Dann kehrte die Stimme zurück, enttäuscht: »Du hast alles missverstanden. Nur weil eine Frau anruft. Liegt darin nicht auch ein kleines Vorurteil?«
»Doch, eindeutig«, das sagte Grundström nicht. Das dachte er nur. Er sagte: »Um wen geht es denn?«
»Um einen Mann«, sagte die Frauenstimme zögernd.
»Aha?«, sagte Grundström ungeduldig. Nein, unsensibel.
Schließlich überwand die Frauenstimme die Schwelle:
»Einen … Schwulen.«
»Einen Schwulen im Polizeidienst?«, entfuhr es ihm.
In den folgenden dramatischen Wochen sollte er noch häufig zu diesem Augenblick zurückkehren. Zu seiner instinktiven Reaktion.
Rein verstandesmäßig war sich Niklas Grundström natürlich darüber im Klaren, dass es homosexuelle Polizisten gab. Natürlich existierte sogar eine Gruppierung, die sich ›Vereinigung schwuler Polizisten‹ nannte und ungefähr fünfzig aktive Mitglieder hatte. Dazu kam eine bedeutend größere Anzahl derer, die ihr Coming-out noch vor sich hatten.
Es war gelinde gesagt, ein schwieriges Milieu für ein Coming-out.
Diese Einsicht hatte mit seiner instinktiven Reaktion nichts zu tun.
»Ja«, sagte die Frauenstimme. »Ich weiß zufällig, dass er homosexuell ist. Ich habe ihn eines Nachts in Stockholm gesehen. Da kam er aus einem Schwulenclub. Und er war nicht allein. Irgendwie hat sein Bezirk davon erfahren, und jetzt wird er schwer schikaniert.«
»Warum macht er selbst keine Meldung?«
Die Frauenstimme gab ein leichtes Stöhnen von sich.
»Aber das begreifst du doch wohl? Er wagt nicht zuzugeben, dass er schwul ist. Kaum vor sich selbst. Er leidet schweigend. Ich glaube beinahe, er betrachtet das Ganze als eine gerechte Strafe. Eine Last, die ihm aufgebürdet wird wegen seiner unerlaubten Neigungen. Er ist nicht auf den ersten Blick schwul, um es mal so zu sagen.«
Grundström versuchte zu begreifen. »Du meinst, er bekennt sich nicht zu dem, was er ist?«
»Würdest du das tun?«,
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