Ungeschoren
Susanne Rydberg – er wollte ihr ersparen, als Angeberin dazustehen –, und er nahm Jon Anderson mit nach Stockholm. Er hatte einen Plan.
»Und wie war das Seminar?«, fragte seine Sekretärin, als er zurückkam.
»Sehr erhebend«, antwortete er.
Im Verlauf des vorausgegangenen größeren Falls der A-Gruppe hatte Niklas Grundström sich gegen jede Wahrscheinlichkeit mit Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin angefreundet, der kurz darauf in Pension gehen wollte. Vorher sollte Paul Hjelm, Hultins engster Mitarbeiter, zu Grundströms engstem Mitarbeiter werden, freilich in bedeutend höherer Position. Also würde in der A-Gruppe eine Lücke entstehen. Dort konnte man von angemessener Widerstandskraft gegen Vorurteile und Schikanen ausgehen.
»Ein Schwuler im Polizeidienst?«, platzte Hultin heraus.
Grundström sagte: »In den kommenden Wochen wirst du häufig an diesen Augenblick zurückdenken. An diese instinktive Reaktion.«
So kam es, dass Jon Anderson der Nachfolger von Paul Hjelm in der A-Gruppe wurde. Grundström warf einen Blick quer über den Innenhof des Polizeipräsidiums, hinüber zu den Fenstern der A-Gruppe. Die Fenster wirkten so unansehnlich. Vor allem im Vergleich mit seinen eigenen vier Fenstern. Sein Zimmer war ungefähr so groß wie alle Zimmer der A-Gruppe zusammen. Außerdem hatte er eine eigene Sekretärin. Er war der Chef der internen Ermittler im ganzen Land.
Er dachte an Paul Hjelms ersten Arbeitstag bei ihm. Er hatte Paul Hjelms Miene vorausgesehen, als er mit seinem Büro konfrontiert wurde, komplett mit Sekretärin und allem, und es hatte alles bis aufs i-Tüpfelchen gestimmt. Zwar war Paul Hjelm einer der wenigen Polizeibeamten, deren Reaktionen er nicht im Voraus kannte – aber was das soziale Verhalten anging, war er astrein. Er erschien am ersten Dezember, unrasiert und in schlampiger Kleidung, und sah im Lauf einer einzigen Sekunde ein, in welchem Ausmaß sein Leben sich verändert hatte. Es war der Augenblick, in dem er Grundströms Sekretärin sah.
»Sogar ein Schlips ist absetzbar«, hatte Niklas Grundström gesagt, als sie in Hjelms Büro traten.
Hjelm nickte. Dann sagte er: »Die Gehaltserhöhung wird also vom Kleiderkonto geschluckt werden?«
»Nur am Anfang«, sagte Grundström, lachte sein helles Jungenlachen und fügte nüchterner hinzu: »Sie gehört übrigens nicht dir.«
»Wer?«
»Anna-Clara, die Sekretärin. Formell ist sie die Sekretärin der Stockholmer Abteilung für Interne Ermittlungen.«
»Aber«, sagte Paul Hjelm und blickte ihm fest in die Augen, »die Stockholmer Abteilung für Interne Ermittlungen bin ich.«
Die Verwandlung war äußerlich ausgezeichnet gelungen. Kommissar Paul Hjelm war jetzt ein repräsentativer Polizeichef. Was im Innern ablief, war – nicht vorhersagbar.
Es gab immer noch eine unausgesprochene Frage zwischen ihnen. Keiner wollte an sie rühren, also durfte sie in Frieden verfaulen. Nach dem letzten großen Fall der A-Gruppe war einige Tage lang eine große Summe Geld vermisst worden. Drei Tage später wurde sie von Kerstin Holm abgeliefert, sonderbarerweise mit dem Gestank von Plumpsklo. Weder Hjelm noch Holm hatten den Vorgang mit einem einzigen Wort erwähnt. Und Grundström ließ es auf sich beruhen. Verfaulen.
Doch damit nicht genug.
Zwischenzeitlich ertappte Niklas Grundström sich dabei, dass er seine eigenen Motive in Frage stellte. Wollte er Buße tun? Ein einziges Mal hatte er als Ermittler bei den Internen einen Irrtum begangen. Es war Jahre her. Er hatte einen Kriminalbeamten in Huddinge fälschlicherweise beschuldigt, aus rassistischen Gründen auf einen Mann geschossen zu haben. Der fragliche Polizist war ein unverschämter Lümmel namens Paul Hjelm gewesen. Zum Glück wurde Hjelm seinem Zugriff entzogen und einer frisch zusammengestellten Gruppe zugeteilt, die den Fall der damals von den Medien als Machtmorde bezeichneten Verbrechen aufklären sollte. Die Gruppe wurde etwas schludrig die A-Gruppe benannt.
Hatte Niklas Grundström Hjelm deshalb zum Chef gemacht? Weil er wusste, dass er, wenn nicht Hultin auf den Plan getreten wäre und Hjelm gerettet hätte, dessen Entlassung bewirkt hätte? Unberechtigterweise?
Vielleicht. Es würde auf jeden Fall immer zwischen ihnen stehen und jede Form von Intimität verhindern. Und das war, rein professionell gesehen, nur von Vorteil.
Vor allem jetzt, dachte Niklas Grundström und seufzte tief. Er fingerte lustlos an dem Kassettenrekorder auf seinem
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