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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Stickanpickan, »ich schlag im Intro ziemlich hart drauf.«
    Jonte, einst schwedischer Juniorenmeister im Weitsprung und Produzent bei Sveriges Radio, war kürzlich gefeuert worden, als der Reichsrundfunk sein großes Sparpaket realisiert hatte. Ein Vollblutprofi an einem Minipult im schäbigen Übungsraum einer Amateurband. Er schien sich wohlzufühlen wie ein Fisch im Wasser.
    »Okay«, sagte Jonte und streckte den Daumen in die Höhe. »Any time.«
    Stickanpickan schlug viermal die Trommelstöcke aneinander und schickte das minimale Trommelintro auf den Weg. Der seltsame rückwärts gewandte Rhythmus setzte ein. Chavez fiel in die hypnotisch schnelle, umgekehrte Bassschleife. Robin näherte sich dem Mikro. Seine Stimme war nicht Stings Halbfalsett, kam ihm aber erstaunlich nah.
    »There is no political solution / To our troubled evolution / Have no faith in constitution / There is no bloody revolution.«
    Dann der Refrain. Kurze Befreiung. Ein fetziger Trommelwirbel markierte den Übergang. We are spirits in the material world. Basslauf und Gesang fielen für einen kurzen Augenblick zusammen. Blickkontakt zwischen Jorge und Robin.
    »Our so-called leaders speak / With words they try to jail you / To subjugate the meek / But it’s the rhetoric of failure.«
    Wieder der Refrain. Der Rhythmus gradliniger. Das sagenhafte Miteinander von Bass und Trommeln. Dieses Zusammenspiel im Rhythmus, das alle Worte übersteigt. We are spirits in the material world. Dann ein Break. Keyboard-Erik arbeitete mit mehreren Klaviaturen gleichzeitig und trieb das kurze Riff voran. »Where does the answer lie? / Living from day to day / If it’s something we can’t buy / There must be another way.«
    Refrain. Langes Ausklingen am Ende. We are spirits in the material world. Are spirits in the material world. Ausklang nach weniger als drei Minuten. Effektive kleine Stücke.
    Dann war Schluss. Ein kurzes, intensives, prägnantes Stück. Kein richtiger Höhepunkt, aber ein guter Anfang einer ordentlichen Session. Auch ziemlich gut gespielt. Alle schienen richtig zufrieden zu sein, als sie sich auf Sofa und Fußboden ausstreckten.
    Gitarren-Johan boxte Keyboard-Erik gegen den Arm.
    »Jetzt hat es gesessen«, sagte er.
    »Ja«, sagte Erik. »Es ist ganz richtig. Es ist ein verdeckter Backbeat. So einfach, dass er schwer wird.«
    »Oder so schwer, dass er einfach wird. Los, fahr mal ab, Jonte.«
    »Warte«, sagte Jonte und wedelte mit den Händen vor seiner Nase. »Jorge, deins schreit. Es riecht nach Kacke.«
    Chavez öffnete die Tür zum Glaskäfigflur und fuhr Jonte durch das zottige Haar. »Du kannst sie doch auch mal wickeln«, sagte er. »Das ist eine gute Übung.«
    »Wofür?«, fragte Jonte und betätigte seine Schieber. »Für das Alter in Einsamkeit? Damit man sich selbst die Windeln wechseln kann, während man verfault?«
    »Du bist der Typ, der massenhaft Kinder kriegt«, sagte Jorge. »Gib’s nur zu.«
    »Du kannst mich mal«, sagte Jonte und brüllte: »Jetzt kommt es, ihr Coverclowns!«
    Hinter seinem Rücken wechselte Jorge Isabels Windel. Gleichzeitig setzte die Musik ein. Tatsächlich, es hatte funktioniert. Der Introwirbel, die pseudomechanischen Synthesizerakkorde, der Bassgroove. Ein Wahnsinnsgroove, dachte er zufrieden, während er konstatierte, dass Isabel Durchfall hatte. Nicht einmal der Umstand, dass seine Finger von braunem Brei trieften, konnte die Freude beeinträchtigen, die er empfand. Die Freude an der Musik. Das Glück des Musizierens. Es gab nichts Besseres. Vielleicht sollte er Profi werden?
    »Meine Fresse, stinkt das«, sagte Jonte und wedelte frenetisch mit den Händen vor der Nase.
    Jorge legte Isabel zurück in den Wagen. Sie schrie nicht. Ein bisschen Schaukeln nur, und sie schlief. Als hätte sie die Musik tatsächlich im Blut. Er ging hinter Jonte zurück in den Übungsraum.
    »Hör ich da ein bisschen Rauschen, du Kasper?«, sagte Johan und trank einen Schluck Bier.
    »Das Rauschen ist nur in deinem Gehirn«, entgegnete Jonte und nahm einen Joint, den Robin gedreht und angezündet hatte. Er nahm einen tiefen Zug und reichte ihn weiter an Jorge.
    Jorge Chavez nahm einen kleinen Zug und ließ sich von der Musik erfüllen. Ganz und gar. Das hier war das Leben.
    Ausnahmsweise dachte er nicht, ›was für ein Glück, dass ich nicht im Dienst bin‹, als er den widerstrebenden Rauch einsog.
    Johan klatschte in die Hände und klopfte Stickanpickan ein paar Mal auf den Kopf. Ein kurzer

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