Ungeschoren
verschreckt.
»Und was ist der Sinn des Klopfens, wenn man die Antwort nicht abwartet?«
»Entschuldigung. Ich –«
»Es ist eine Spinne. Sie spinnt ein immer größeres Netz. Man sieht es nur, wenn man den Kopf genau im richtigen Winkel hält.«
»Wo? Da oben?«
»Ja. Das Netz ist fast einen Quadratmeter groß. Aber ich finde den richtigen Winkel nicht wieder.«
»Ööhh. Jaha …«
»Und was wolltest du?«
Lena Lindberg hustete leicht und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. »Nur so eine Idee«, sagte sie vorsichtig.
»Wir treffen uns heute Abend auf ein Bier, ein paar Frauen. Im Sturehof. Hast du Lust mitzukommen?«
»Ein paar Frauen?«, fragte Kerstin Holm und richtete einen scharfen Blick auf sie.
»Ja, eine Clique Singlefrauen. Okay, hauptsächlich von der Polizei.«
Und Kerstin Holm sah eine Menge Dinge vor sich. Sie rollten vor ihr ab. Sie sah einen blauen Bannkreis. Sie sah eine Tussi mit Namen Vickan. Und sie sah ihren Sohn. Anders. »Ich bin keine Singlefrau«, sagte sie langsam. »Ich bin eine alleinstehende Mutter in mittleren Jahren.«
»Auch solche gehen ab und zu mal aus. War nur so eine Idee.«
»Ich kann nicht. Ich habe Anders. Sonst wäre ich gern mitgekommen.«
»Tja«, sagte Lena Lindberg und zuckte die Schultern.
»Falls du es dir noch anders überlegst. Wir sind gegen sieben, halb acht da. Hast du meine Handynummer?«
»Ja. Danke. Wie kommt ihr mit Naska voran?«
»Sie steht weiter unter starkem Verdacht.«
»Aber wie kommt ihr voran?«
»Sie hat gestanden. Dass sie nicht hätte gestehen sollen. Aber es gibt noch viele offene Fragen. Wir sollten sie noch nicht laufen lassen.«
»Das ist ja auch nicht aktuell. Okay. Gut.«
Lena Lindberg verließ das Büro ihrer Chefin mit einem kurzen Nicken. Die Bilder im Kopf der Chefin waren noch nicht richtig zum Stillstand gekommen. Kerstin Holm sah das halb durchsichtige Spiegelbild einer abgewandten Frau, einen großen Mann in einer Jeansjacke und eine Leiche mit einem großen Loch im Kopf. Und die abgewandte Frau spürte plötzlich eine vollkommen unerwartete Lust, ihre Hand an den Penis des Mannes … Jaja.
Die Bilder verschwanden.
Andere kamen. Eine mit einer Axt ermordete polnische Krankenschwester. Ein erschossener Fernsehchef in einem weißen Wagen in einer Garage. Ein erstochener kurdischer Bruder vor einem Vereinsheim. Ein schwerer Mann, dem ein Stück seines Kopfs im Mund steckte. Ein paar Faxe. Ein fehlendes Flipchart. Und Paul Hjelm, der Ehemalige, was der nun da zu suchen hatte.
Und da sah sie es wieder. Das Spinnennetz in der linken inneren Ecke des Zimmers glühte auf. Und es war gewaltig. Ein Wunder an zweckmäßiger Präzision. Aber die Spinne war nicht zu sehen.
Verdammt, dachte sie und stand auf. Das Spinnennetz verschwand.
Und sie vergaß, was sie gedacht hatte. Sie hatte das Spinnennetz erblickt, und ein Gedanke war ihr durch den Kopf geschossen. Jetzt war er verschwunden. Wie weggeblasen.
Einen Moment stand sie da und kniff ein paarmal fest die Augen zusammen.
Nein, es half nichts, zurück an die polizeiliche Routinearbeit. Aber sie verstand jetzt auf jeden Fall, was Paul Hjelm da gemacht hatte. Zwischen den vorbeiziehenden Bildern.
Wäre er bei ihr gewesen, hätte sich ihr Gedanke nicht verflüchtigt. Dann hätten sie ihn festgehalten. Gemeinsam.
Und alles war sehr verwirrend. Paul Hjelm. Bengt Åkesson. Anders Holm. Und es passte nicht zusammen.
Stattdessen also ein nichtidentifizierter Mann mit einem Loch im Kopf.
Sie hatte den Fall noch nicht in der Kampfleitzentrale zur Sprache gebracht. Es war offiziell noch kein Fall für die A-Gruppe. Sie fürchtete, dass der Tote sich als Alkoholiker herausstellte, der im Suff gestürzt und mit dem Kopf auf eine Geländerstange geknallt war. Was allerdings recht unwahrscheinlich war.
Bei den Vermisstenmeldungen gab es einige denkbare Kandidaten. Sie hatte den Nachmittag damit zugebracht, sie auszuschließen. Einen nach dem anderen. Und auf die internationale Anfrage wegen der Fingerabdrücke waren noch keine Antworten eingegangen.
Wer war der Mann? Seine Identität musste mit der grauenvollen Hinrichtungsmethode zusammenhängen, von der eigentlich nur auf eine Form von organisiertem Verbrechen geschlossen werden konnte. Einem Normalbürger wird nur selten ein Loch in den Schädel gesägt und das Stück Knochen in den Mund gesteckt. Eine Hinrichtungsmethode, die von irgendeinem Zweig der Mafia praktiziert wurde? Roch das Ganze nicht ein wenig nach
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