Ungeschoren
zu existieren. Es klang so, als ob Glas zersplitterte. Ich war mit meinen Polen beschäftigt, als es passierte.«
»Polen?«
»Da ist etwas, worauf ich kommen müsste«, sagte er und zeigte auf den Bildschirm. »Vier verdächtige Leute aus Poznán.«
»Jon?«
»Ja. Er hat diese vier vernommen. Und an einem von ihnen ist etwas, worauf ich reagieren müsste.«
Sara betrachtete die vier Physiognomien und schüttelte den Kopf. »Eine finstere Schar«, sagte sie.
Gunnar Nyberg betrachtete sie verblüfft.
Dann blickte sie sich in der Kampfleitzentrale um. Sie hatte sich gefüllt, ohne dass sie es bemerkt hatte. Alle waren da.
Kerstin Holm klopfte einen Packen leerer Papiere zusammen und sagte: »Es ist ein neuer Fall dazugekommen.«
Sie sahen sich an. Als hätten sie nicht schon so genug.
»Aber keine Angst«, sagte Holm, die ihre Gedanken las.
»Ich übernehme ihn selbst. Es wird Zeit, dass ich auch mal wieder ein wenig Polizeiarbeit mache. Ein unidentifizierter Mann wurde gestern Morgen im Långholmsbad treibend gefunden. Die Mordmethode hat den Ausschlag gegeben, dass ich ihn genommen habe. Trotz einer gewissen Überlastung. Jemand hat ihm, als er noch lebte, ein kreisrundes Stück aus der Schädeldecke herausgesägt und ihm dieses Stück wie eine Oblate in den Mund gesteckt und gewartet, bis er starb. Dann tätowierte der Mörder ein drei Millimeter hohes U in die rechte Kniekehle des Mannes und warf die Leiche in den Mälaren. Irgendwelche Reaktionen?«
Keine Reaktionen. Außer einigen hochgezogenen Augenbrauen.
»Nichts, was ihr mit irgendetwas verbindet?«
Auch diesmal nichts.
Kerstin Holm nickte und ging weiter: »Und wie sieht es sonst aus? Arto und Viggo?«
»Wir konnten gestern nicht mit unserem Fernsehmörder sprechen. Es ging ihm zu dreckig. Stattdessen haben wir mit Angehörigen verschiedener Art gesprochen. Kein nennenswertes Ergebnis. Und auch nichts, was diesen mystischen Ungarn Vebach Zelsai angeht, den der Fernsehchef Ronald Swärd im Szenelokal Kharma treffen sollte.«
»Also Fehlanzeige auf der ganzen Linie«, fasste Viggo Norlander zusammen.
»Okay«, nickte Kerstin. »Sara und Lena?«
Da klingelte das Telefon. Das tat es nicht oft. Nur äußerst wichtige Gespräche durften in die Kampfleitzentrale durchgestellt werden.
Kerstin meldete sich. »Ja?«
Dann hob sie die Hand Richtung der anderen. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich Falten ab, die sie nie zuvor gesehen hatten.
Arto Söderstedt erkannte sie trotzdem. Er hatte solche Falten schon einmal gesehen und ebenfalls in diesem Raum. Aber da waren sie in Jan-Olov Hultins weniger reizendem Gesicht in Erscheinung getreten.
Das war viele Jahre her. Als sie aus Tallinn anriefen und mitteilten, dass Viggo Norlander an den Fußboden genagelt worden war.
Für Arto Söderstedt war es glasklar. Es war etwas mit Jon Anderson in Poznán passiert.
»Yes, I’ll be there« sagte Kerstin Holm in den Hörer.
Dann sagte sie nichts mehr. Sie legte auf, schloss die Augen und schlug die Hände zusammen.
Schließlich sagte sie: »Heute Nacht um zwanzig nach zwölf ist Jon Anderson in einem Park in Poznán niedergestochen worden. Er schwebt in Lebensgefahr.«
»Der Glaskäfig«, sagte Gunnar Nyberg und wurde ganz blass. »Es war der Glaskäfig, der zersplitterte. Um zwanzig nach zwölf.«
Kerstin Holm und Lena Lindberg nickten. Sie wussten, dass sie ungefähr so blass aussahen wie Nyberg.
»Was genau heißt ›in Lebensgefahr‹?«, fragte Arto Söderstedt.
»Er hat sehr viel Blut verloren«, sagte Kerstin Holm. »Er lebte noch, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, aber nur noch gerade eben. Er wird künstlich beatmet. Sie wissen nicht, ob er bleibende Gehirnschäden davongetragen hat und ob er überhaupt überleben wird. Er liegt im Koma.«
Dann wurde es still. Bilder tauchten auf, die Bilder leichter Demütigungen, diese kleinen, im Vorbeigehen und gedankenlos abgefeuerten Sticheleien. Jon Andersons verständnisloses Zwinkern.
Yes.
Unbehagen breitete sich in der Kampfleitzentrale aus. Sie betrachteten sich mit neuen Augen. Eine Mauer inneren Einverständnisses. Mit der nicht zu reden war. Die Worte als Maskierung. Als ob sie mit ihm sprächen.
»Wir hätten netter zu ihm sein können«, sagte Arto Söderstedt.
»Ja«, sagte Kerstin Holm, ohne den Blick von ihren leeren Blättern zu heben. »Das hätten wir.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Nyberg.
»Ich weiß nicht mehr, als ich euch gesagt habe«, sagte Holm.
»Doch«,
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