Ungestüm des Herzens
sich Lorenzo behutsam ein.
Der Arzt runzelte die Stirn. »Natürlich wird er es überleben. Er ist übel zusammengeschlagen worden, aber ich habe schon Schlimmeres gesehen.«
»Aber sein Bein. Es hat auf dem Ritt hierher schrecklich geblutet.«
»Das ist nicht von Bedeutung.«
»Sind Sie sicher?«
»Sehen Sie, Miß, das Schlimmste, was diesem jungen Mann passieren kann, wäre eine Infektion, die zu Blutvergiftung führt. In dem Fall müss te ich das Bein amputieren.«
»Nein!«
»Ich sagte, dass es das Schlimmste ist, was passieren kann. Und selbst, wenn es nötig werden sollte, scheint er so gesund zu sein, dass er es überleben würde. Aber das ist unwahrscheinlich. Die Wunde war sauber. Dort ist kein Ärger vorherzusehen. Schlimmer steht es um seine Finger.«
»Könnten wir ihn sehen?«
»Davon würde ich im Moment abraten. Er ist nicht zu sich gekommen, während ich mich mit seinen Wunden be fasst habe, und das ist ein Segen. Er ist jetzt ruhig. Sein Atem geht normal. Ruhe ist in diesem Stadium die beste Medizin. Es reicht, wenn Sie ihn morgen besuchen. Ich würde vorschlagen, dass Sie sich jetzt selbst ausruhen, Miß, denn sonst muss ich Sie als nächste behandeln.«
Samantha nickte. Sie war ausgelaugt. Nur Schlaf konnte diesen Alptraum auswischen, wenigstens für kurze Zeit.
Lorenzo brachte sie zu dem Hotel, in dem auch ihr Vater abgestiegen war, doch der Mann an der Anmeldung wollte auf Samanthas Anblick hin eine Vorauszahlung haben, ehe er ihr ein Zimmer gab. Samantha hatte kein Geld und wollte auch kein Geld von Lorenzo annehmen. Es endete damit, dass Samantha ihren Revolver zog. »Ich will ein Zimmer, und zwar sofort«, sagte sie.
Der junge Angestellte wich so schnell zurück, dass er gegen das Schlüsselbrett knallte. »Nehmen Sie jedes Zimmer, das Sie wollen!« keuchte er. Er griff nach dem erstbesten Schlüssel.
»Nein, Sie Dummkopf«, sagte Samantha. »Ich will Ihnen meine Waffe doch nur als Sicherheit dalassen.« Sie schob sie über den Tisch. »Sie ist weit mehr wert als eine Übernachtung. Wenn ich sie nicht morgen zurückfordere, können Sie mich rauswerfen und meine Waffe behalten. So, und jetzt den Schlüssel .«
Lorenzo verabschiedete sich von Samantha. Er blieb nicht im selben Hotel. »Es gibt billigere Unterkünfte«, hob er hervor, als sie Einwände machen wollte. »Ich bin vielleicht nicht arm, aber ich lebe nicht über meine Verhältnisse.«
Sie war zu müde, um sich auf eine Diskussion einzulassen, und so ließ sie ihn gehen, nachdem sie ausgemacht hatten, dass sie sich am Nachmittag im Haus des Arztes treffen wurden.
Inzwischen war es taghell. Rötliches Licht drang durch die Fenster des Zimmers im ersten Stock, das man Samantha gegeben hatte. Irgendwo in diesem Hotel lag ihr Vater und schlief. Sie hatte es gar nicht mehr eilig, ihn zu sehen. Sie fühlte sich verraten. Das war natürlich unlogisch und einseitig. Was ihr Vater getan hatte, hatte er für sie getan. Ihre Reaktion entsprang ihren verwirrten, aufgewühlten Gefühlen.
Wo war die Samantha Kingsley, die geschworen hatte, dass sie sehen wollte, wie Hank ausgepeitscht, verfolgt und getötet wurde? Sie hätte jubilieren sollen, als sie sehen durfte, wie übel Hank zusammengeschlagen worden war, doch stattdessen war sie wie eine rückgratlose, rührselige Frau zusammengebrochen. Warum hatte dieser Anblick sie in Stücke zerrissen? Und was konnte sie ihrem Vater sagen, nachdem sie wußte, dass er das, was vorgefallen war, zugelassen hatte?
Samantha ließ sich auf das Bett fallen und presste ihre
Handflächen gegen ihre Schläfen. Nur zu bald würde sie die Antworten auf ihre Fragen finden. Nur zu bald.
36
Samantha war gerade erst eingeschlafen, als es erst beharrlich klopfte und dann gegen ihre Tür hämmerte. Sie hielt sich beide Ohren zu, doch das Klopfen hörte nicht auf. Eine Stimme rief ihren Namen.
Sie kannte diese Stimme.
»Komm rein!«rief sie so laut, dass ihr Vater sie über den Lärm, den er veranstaltete, hören konnte.
Die Tür flog auf, und Hamilton Kingsley stand in einem makellosen, maßgeschneiderten grauen Anzug vor ihr. »Ich hätte nicht geglaubt, dass du es bist, Sam!« sagte er strahlend. »So, wie man dich mir beschrieben hat ... Es geht dir doch gut? Ich meine ... «
»J a, natürlich. Sieht man mir das nicht an?«
Ihr sarkastischer Tonfall ließ Hamilton erstarren. Er trat einen Schritt zurück und sah sie sich genauer an.
»Wenn man es genau nimmt, siehst du grauenhaft aus. Was
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