Ungestüm des Herzens
sie sich auf einen Standpunkt einließ, den sie durchaus noch bereuen konnte, aber sie sah sich dazu gezwungen. »Er braucht einen Arzt. Ich bringe ihn zum Arzt.«
»Den Teufel tust du! « schrie Sankey. Er kam auf sie zu.
Ohne auch nur nachzudenken, schoss Samantha auf ihn. Eilig richtete sie die Waffe wieder auf Nate. Sein Gesicht war so aschfahl wie die Gesichter der anderen. Doch er war nach wie vor ruhig und kontrolliert. Wie gewöhnlich hatten die Männer sie unterschätzt.
»Werden Sie ihn jetzt freilassen?« fragte sie Nate.
»Hier steht zuviel Geld auf dem Spiel. Und du kannst uns nicht alle erschießen, Mädchen.«
»So, kann ich das nicht?«
Es war reine Aufschneiderei. Der Schuss hatte die beiden Schlafenden geweckt, und sie waren zu sechst. Sie konnte nicht alle auf einmal erschießen. Das wussten alle. Und was war mit Lorenzo? Stand er noch draußen?
Samantha versuchte, schnell zu einem Entschluß zu kommen, aber sie wußte nicht, was sie als nächstes tun sollte. Männer wie diese würden sich ohne Kopfzerbrechen auf eine Schießerei mit einer Frau einlassen. Aber konnte sie jetzt noch zurück?
»Dios mio!«
Lorenzos Ausruf ließ Samantha zusammenzucken. »Ich war noch nie so froh , jemanden zu sehen, Amigo«, sagte sie, als er in die Scheune trat und sich hinter sie stellte. »Ich hatte schon Angst, du seist fort.«
Lorenzo sah sie scharf an und sagte wütend: »Wie kannst du so ruhig hier stehen, während er gemartert an den Händen hängt? Erkennst du ihn denn nicht?«
Dieser unerwartete Groll schockierte sie. »Ich habe Antonio Chavez nie gesehen. Wie sollte ich ihn wiedererkennen? Und ruhig bin ich wohl kaum.«
»Por Dios. Schau näher hin, Kleines.« Lorenzo erkannte seinen Irrtum und sprach freundlicher mit ihr. »Es ist Rufino. «
Ihre Blicke flogen zu dem Mann. »Nein!« keuchte sie. Das schwarze Haar, das unkenntliche Gesicht. »Nein!« Sie vergaß alle anderen, rannte auf den Mann zu und ließ die Waffe sinken. »Das ist er nicht.« Die schwarze, blutbefleckte Kleidung war der Anzug, den Hank getragen hatte, als er sie geheiratet hatte.
Sie hatte ihn erreicht. Sie nahm weder die Gerüche wahr, noch ihren rasenden Herzschlag, noch ihren Magen, der sich umdrehte. Er ist es nicht. Er ist es nicht.
Langsam und furchtsam knöpfte Samantha sein Hemd auf, um Beweise zu finden. Ja, er hatte die Narben auf seiner Brust. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, und ein Schrei ent riss sich ihrer Kehle. Durch die schwarzen Quetschungen auf seinem Magen und seinen Rippen waren die Narben kaum zu erkennen. Sie brach auf dem Fußboden zusammen und würgte, und obwohl sie ihre Augen fest zudrückte, verfolgte sie dieses Bild. Hank, o Gott! Nein!
Samantha stöhnte. Sie vergaß ihre gesamte Umgebung. Lorenzo hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Niemand achtet auf Samantha. Lorenzo allein hielt die Männer in Schach. Zwei Revolver mit je sechs Schuss Munition in den Händen eines Mannes, der beide Finger am Abzug hatte, waren schon etwas ganz anderes.
»Was zum Teufel ist in sie gefahren?« brummte Ross.
»Rede du mit ihm, Camacho«, befahl Nate, ohne auf Ross zu achten. »Du sprichst seine Sprache. Erklär ihm, dass wir nur unsere Arbeit tun.«
»Hier wird nicht geredet«, sagte Lorenzo, ehe Camacho auch nur den Mund aufmachen konnte. »Wir warten, bis la nina sich wieder ge fasst hat. Sie wird darüber entscheiden, was hier geschieht.«
»Also ich denke gar nicht daran, hier rumzustehen und nach der Pfeife einer Frau zu tanzen«, quengelte Ross.
»Erzwing nichts, Ross«, warnte ihn Nate. »Willst du so enden wie Sankey?«
»Zum Teufel, das da ist eine verrückte Frau. Er weiß, dass er es nicht gegen uns alle aufnehmen kann.«
»Sind Sie sicher, Señor ?« fragte Lorenzo mit gefährlicher Ruhe. »Vielleicht wüssten Sie gern, was ich denke?«
Camacho packte Ross am Arm. »Reg dich ab, Amigo. Der da ist einer wie ich. Der gibt nicht auf und kneift.«
»Du glaubst, ich fürchte mich vor einem mageren ... «
»Natürlich nicht«, lenkte Camacho ein. »Aber seine Revolver sind nicht so harmlos, oder?«
»Worum geht es Ihnen hier eigentlich?« fragte Nate.
»Ich will die Freilassung dieses Mannes«, erwiderte Lorenzo.
»Und dann?«
Lorenzo verstand seine Furcht und lächelte finster. »Sie brauchen mich nicht zu fürchten, Señor . Chavez ist mein Amigo, aber ich bin kein rachsüchtiger Mensch.«
»Und was ist mit ihr?«
»Das ist wieder etwas anderes.«
»Aber sie hat gesagt, sie
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