Ungezaehmte Begierde
»Wir bringen dich hier raus.« Diese Stimme! Es war dieselbe, die sie schon einmal vor Tighes Gewalt gerettet hatte. Dieselbe, die sie neben dem Tidal Basin bewusstlos gemacht hatte.
»Sie bringen ihn um.« Sie kämpfte gegen ihre übermächtige Schwäche und den schrecklichen Schmerz und versuchte sich von ihm zu befreien. »Ich darf nicht zulassen, dass sie ihn töten!«
»Alles kommt wieder in Ordnung, Delaney. Du bist die Einzige, die hier in Gefahr ist.«
Halb schob er, halb trug er sie aus dem Raum, und als ihre Beine nachgaben, hob er sie auf seine Arme. Die Schmerzen waren einfach zu stark. Tränen liefen ihr über die Wangen.
Der Mann legte sie auf ein Sofa. Sie ließ sich gegen die weiche Lehne sinken und schrie auf, als sie den Druck auf ihren Wunden spürte.
Der Mann nahm ihre Hand. Sie klammerte sich daran und versuchte gleichmäßig zu atmen, um die Schmerzen zu lindern.
»Es tut mir leid, dass du da hineingeraten bist.«
Sein langes Gesicht verschwamm vor ihrem kleiner werdenden Gesichtsfeld. Ihr Kopf war einfach zu schwer, sie ließ ihn gegen die Sofalehne sinken, versuchte aber, dem Mann in die finsteren Augen zu sehen.
»Hilf ihm. Bitte .«
*
Gedämpft drangen die Stimmen durch einen Schleier von Gewalt an sein Ohr.
»Sie lebt, aber nicht mehr lange, wenn wir sie nicht zu einer Heilerin bringen. Sie blutet ganz fürchterlich.«
»Lasst sie sterben. Sie hat zu viel gesehen.«
Nein!, hallte es durch Tighes Kopf, aber aus seinem Mund kam kein menschlicher Laut. Nur Fauchen und Knurren, während er auf die drei Männer einschlug, die ihn mit ihrem Gewicht festhielten.
Vor ihm tauchte Hawkes Gesicht auf. »Reiß dich zusammen, Freund. Sonst stirbt Delaney.«
»In meinen Ohren klingt es so, als würde sie in jedem Fall sterben«, sagte eine dritte Stimme gedehnt.
Hawke zog die Brauen zusammen. »Sei still, Jag.«
Die Gesichter verschmolzen miteinander und mischten sich mit diversen Farben, die vor seinen Augen vorbeischossen. Rot und Gelb und Orange. Gewalt. Wut.
Er knurrte und versuchte sich loszureißen. Anzugreifen.
»Hörst du mich, Tighe? Komm da raus, mein Freund. Du hast Delaney verletzt. Sie blutet ziemlich stark. Sie braucht dich.«
»Warum sollte ihm überhaupt was an ihr liegen?«, fragte Jag.
»Sie interessiert ihn nicht«, erwiderte Kougar. »Er benutzt sie nur, um an die Visionen zu kommen.«
»Er mag sie«, sagte Hawke. »Stimmt’s, Kumpel?«
Hawkes Gesicht erschien wieder in seinem Blickfeld. »Weißt du, dass sie sich gewehrt hat, als ich versuchte sie hier rauszubringen? Sie wollte zu dir kommen. Sie wollte dich retten. Vor uns .«
Die Worte drangen durch seinen wilden Zorn und erreichten so seinen Verstand. Sie hatte versucht ihn zu retten. Ihn .
»Rehauge.« Es war mehr ein Knurren als ein Wort, aber er brachte es zustande.
»Genau, Tighe. Komm zurück zu uns. Kämpfe, Freund.«
Sie braucht mich. Rehauge braucht mich.
Er kämpfte mit aller Macht gegen seinen Zustand an, bis er vor Anstrengung schwitzte und keuchte. Endlich, endlich , befreite er sich erschöpft und triumphierend aus der Umklammerung der rasenden Wut und hatte sich wieder unter Kontrolle.
Seine Reißzähne und Krallen zogen sich zurück, und er sackte in sich zusammen.
»Lasst mich los.«
»Lasst ihn!«, zischte Hawke.
Kougar und Jag ließen von ihm ab und Tighe rappelte sich erschöpft und blutverschmiert auf die Beine hoch. »Wo ist sie?«
»Auf dem Sofa.«
Tighe stolperte aus dem Raum … und mit jedem Schritt kehrte etwas mehr von der ursprünglichen Kraft zurück. Aber als er sie sah, blieb er kurz stehen. Eiseskälte durchfuhr ihn. Delaney saß tief in die Sofakissen versunken und war blutüberströmt. Von ihrem eigenen Blut. Das war seine Schuld.
Gütiger Himmel! Was habe ich getan?
Er sank neben ihr auf das Sofa und starrte in ihr viel zu blasses Gesicht. »Delaney.«
Langsam hob sie die Wimpern, ihre dunklen Augen strahlten. »Tighe?«
Er strich nur mit den Knöcheln über ihre makellose Wange. Der Göttin sei Dank, er hatte nicht versucht, ihr Gesicht zu ergreifen. »Es tut mir leid, Rehauge. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich hole Hilfe.« Er drehte sich um und sah, dass ihn Hawke vom Eingang aus beobachtete.
»Ruf Esmeria an. Sag ihr, dass wir unterwegs sind.«
Aber Hawke rührte sich nicht von der Stelle. Hinter ihm tauchte im Türrahmen Kougar auf. »Es ist verboten, Menschen in die Enklave zu bringen. Das weißt du.«
»Das ist mir scheißegal. Sie
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