Ungezaehmte Leidenschaft
einigermaßen guter Verfassung ist.«
»Leybrook erholt sich von einem Nervenschock, aber es geht ihm gut«, sagte Owen.
Virginia wollte das Thema nicht weiter verfolgen. »Was haben Sie von der Haushälterin der Hollisters erfahren?«, wandte sie sich an Mrs. Crofton.
»Mrs. Tapton hatte schon reichlich Gin intus, als ich sie fand. Sie war ganz offen und erklärte, dass Lady Hollister verrückt sei, dass aber ihr Mann es gewesen sei, der dem Personal richtig Angst einjagte. Mrs. Tapton blieb nur aus Loyalität zu Lady Hollister dort. Sie kannte sie seit ihrer Jugend und begleitete schließlich die junge Braut ins Hollister-Haus.«
»Wussten die Haushälterin und das übrige Personal, was im Keller vor sich ging?«, fragte Charlotte.
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Mrs. Crofton. »Ich bin sicher, sie spürten alle, dass etwas Schreckliches im Haus vorging, doch sie verhielten sich zurückhaltend.«
»Mit anderen Worten, sie gingen Ärger aus dem Weg«, sagte Virginia.
»Sie wurden gut bezahlt, um wegzuschauen«, erklärte Mrs. Crofton. »Es ist ja nicht so, dass das Haus der Hollisters das einzige in London ist, das Geheimnisse birgt, vor denen das Personal lieber die Augen verschließt.«
»Stimmt.« Owen hielt Virginias Blick fest. »Jedes Haus hat seine Geheimnisse.«
»Manche Geheimnisse sind aber schrecklicher als andere«, sagte Virginia rasch. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Da wäre noch eine unbeantwortete Frage. Wer half Lady Hollister, die Szene in dem Spiegelzimmer im Keller zu inszenieren, sodass es aussah, als hätte ich Hollister ermordet?«
Mrs. Crofton sah sie erstaunt an. »Ist das nicht klar? Auf wen konnte die Dame des Hauses zu diesem Zeitpunkt zählen?«
»Natürlich«, rief Virginia. »Auf die Haushälterin.«
45
»Na?« Virginia sah Charlotte fragend an. »Hast du schon entschieden, ob du zu Dr. Spinner gehen wirst?«
»Ich bin zu der Einsicht gelangt, dass ich Dr. Spinners Therapie nicht brauchen werde.« Charlotte gab Tee in eine Kanne und goss kochendes Wasser auf. »Zufällig entdeckte ich kürzlich ein anderes, sehr wirksames Mittel gegen weibliche Hysterie.«
»Tatsächlich?«
»Ich vermute, dass es dieselbe Therapie ist, die du selbst anwendest.«
Virginia lächelte wissend. »Ich hatte so ein Gefühl, als ich dich heute Morgen mit Nick sah. Die Luft um euch war mit einer gewissen Energie aufgeladen.«
»Ich hab mich in ihn verliebt, Virginia.« Charlotte brachte die Teekanne an den Tisch. »Ich verstehe es nicht und kann es ganz sicher nicht erklären, aber an dem Tag, als ich ihm begegnete, wurde mir klar, dass es war, als hätte ich mein Leben lang nur auf ihn gewartet.«
Virginia dachte an den Abend, als sie bei den Pomeroys Owens Blick im Spiegel begegnet war. »Ich weiß, was du meinst.«
»Ich muss zugeben, dass alles sehr seltsam und verwirrend war. Nick sagt, für ihn sei es ebenso gewesen, doch behauptet er, so würde es immer laufen, wenn Sweetwaters die Richtige fänden. Er meint, es sei ein Nebeneffekt ihres Talents und hinge mit ihrer Fähigkeit zusammen, mit der besonderen psychischen Natur zu überleben.«
Sie saßen in Charlottes kleiner Küche. Draußen strahlte die Sonne. Virginia hatte das Gefühl, als wären alle Schatten und dunklen Momente, die ihre Welt in den letzten Wochen beherrscht hatten, in den Flammen untergegangen, die in Alcina Norgates Haus entfesselt worden waren.
In den vor ihr und Owen liegenden Jahren würde es weitere Schatten und dunkle Momente geben. Das lag in der Natur ihrer Talente und an der Arbeit, zu der ihre Fähigkeiten sie trieb. Es war aber auch die Natur des Lebens an sich. In dieser Hinsicht unterscheiden die Sweetwaters sich nicht von anderen Familien, dachte sie. Doch sie wusste nun, dass das Band der Liebe, das sie an Owen fesselte, sie durch die kommenden Jahre geleiten würde, was immer die Zukunft für sie bereithalten mochte.
Virginia griff nach der Teetasse, die Charlotte gefüllt hatte. »Es mag stimmen, was man über Liebe zwischen zwei starken Talenten sagt«, sagte sie. »Sie schmiedet eine feste metaphysische Verbindung.«
»So wie in einem Liebesroman«, sagte Charlotte darauf.
Virginia lachte. »Etwas sagt mir, dass kein Autor von Liebesromanen es billigen würde, wenn die Heldin in die Familie Sweetwater einheiratet. Diese Familie hütet nämlich einige ungewöhnliche Geheimnisse.«
»Pah. Jede Familie hat Geheimnisse.«
»Das stimmt.« Virginia hob ihre Tasse zu einem
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