Ungezaehmte Leidenschaft
»Warum?«
»Vermutlich, weil mir die Vorstellung gefällt, durch verschlossene Türen zu kommen. Ich bin nicht sicher, warum. Vielleicht habe ich eine kriminelle Ader.«
»Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Geheimnisse dich anziehen, weil du so vielen begegnet bist, die du nicht lösen konntest.«
»So habe ich es noch nicht gesehen. Du magst recht haben.«
Er öffnete die Tür in einen dunklen Flur. Knisternde Ener gie waberte in der Atmosphäre wie ein ominöser Duft.
»Ich glaube, dass Mrs. Hackett ebenso wenig eines natürlichen Todes starb wie Mrs. Ratford«, sagte Virginia.
»Das ist ganz sicher so. Es war Mord. Ich wusste es von Anfang an.«
Das Erdgeschoss war rasch durchsucht. Sie stiegen die Treppe hinauf, stets auf ein Stampfen oder Klirren horchend, aber die todbringende Überraschung blieb aus.
Virginia blickte durch den offenen Eingang eines der Schlafzimmer. »Ich frage mich, warum er hier keinen Wächter zurückgelassen hat.«
»Er hat das Experiment abgeschlossen«, sagte Owen.
Er stieß eine andere Tür auf und steigerte sein Talent. Das Quecksilberlicht, das Tod mittels übersinnlicher Mittel anzeigte, schimmerte in der Atmosphäre.
»Hier hat er sie getötet«, sagte er.
Als Virginia das Schlafzimmer betrat, spürte sie, wie Energie die Atmosphäre durchdrang, und sie wusste, dass sie ihre Sinne geöffnet hatte.
»Mrs. Hackett sitzt an ihrem Frisiertisch wie Mrs. Ratford«, sagte Virginia. »Sie blickt zum Bett und weiß, dass das, was sie sieht, ihr den Tod bringt. Sie kann nichts dagegen tun.«
»Bei diesen zwei Morden scheint Hollister einem Schema zu folgen.«
»Er benötigt einen Spiegel, und er tötet nachts, weil das Spiegellicht nachts am stärksten ist.«
»Siehst du Flammen in diesem Spiegel?«
»Ja.« Wieder blickte Virginia in den Spiegel auf dem Frisiertisch. »Das Feuer ist schwach, aber ich kann es spüren. Eine kleine Menge Energie ist irgendwie statisch eingeschlossen. Sehr sonderbar.«
»Wir haben jetzt zumindest eine Ahnung, was ihn bewog, die Spiegel-Deuterinnen in ihren Schlafzimmern vor ihren Spiegeln zu töten.« Owen blickte um sich. »Um dieses Ziel zu erreichen, musste er sich Zutritt zum privatesten Raum des Hauses verschaffen und seine Mordmaschinen in Stellung bringen. Ich frage mich, ob er die zwei Frauen überrumpelte oder ob sie ihn in ihre Schlafräume einließen.«
Virginia drehte sich vor dem Spiegel um. »Ich weiß, was du denkst. Mir ist klar, dass manche Frauen, die angeblich Kontakt mit dem Jenseits haben, einen Ruf genießen, der auf männliche Klienten unwiderstehlich wirkt. Während dies bei Mrs. Ratford der Fall gewesen sein mag, bin ich sicher, dass es auf Mrs. Hackett nicht zutrifft. Sie war eine Frau in mittleren Jahren, die ihre Arbeit sehr ernst nahm. Ich bezweifle sehr, dass sie Klienten in ihren Schlafraum einlud.«
Owen nahm ihr Urteil mit einem Nicken zur Kenntnis. »Bist du sicher, dass beide Frauen echtes Talent besaßen?«
»Ja.«
»Was bedeutet, dass der Mörder unter allen Scharlatanen und Betrügern in dieser Branche zwei echte Spiegel-Deuterinnen erkennen konnte.«
»Wenn er selbst ein Talent ist, wie wir vermuten, ist es nicht erstaunlich, dass er andere echte Talente erkannte«, sagte Virginia.
»Die zweite Gemeinsamkeit der Opfer ist der Umstand, dass beide mit dem Leybrook Institute in Verbindung standen.«
»Ja, aber wo ist die Verbindung zu Hollister?«, fragte Virginia. »Weder Lord noch Lady Hollister waren Klienten des Instituts, bis Lady Hollister bei mir eine Sitzung buchte.«
»Die Wahl fiel nicht zufällig auf dich. Jemand hat es arrangiert, dass du zu den Hollisters geschickt wurdest. Wer hat den Termin fixiert?«
»Mr. Welch oder seine Assistentin Mrs. Fordham«, sagte Virginia. »Ich weiß nicht, wer die Buchung entgegengenommen hat. Die Nachricht kam von Mrs. Fordham. Sie führt den Terminkalender.«
»Und wo bewahrt sie ihn auf?«
»In ihrem Büro.«
»Ich muss mir heute noch ihre Unterlagen ansehen.«
»Ich komme mit«, sagte Virginia.
»Nein.«
»Ich muss dir zeigen, wo du suchen musst«, wandte Virginia ein.
»Nein. Es besteht immer die Gefahr, dass man ertappt wird, wenn man sich auf solche Sachen einlässt.«
»Unsinn. Ich bin sicher, dass du es nicht dazu kommen lässt.«
Tatsächlich war es kein großes Risiko, davon konnte Owen sich eine Stunde später überzeugen. Das Institut war nachts verlassen. Es gab zudem mehrere Ausgänge, durch die er Virginia rechtzeitig
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