Ungezaehmte Leidenschaft
armseligen Eindruck des Übersinnlichen bieten, da es unter uns so viele Betrüger gibt.«
»Ich für meinen Teil bin überglücklich, eine Schwester zu haben, die auch über ein Talent verfügt«, sagte Elizabeth. »Ich fühlte mich so allein.«
»Ich weiß noch, wie schwierig es für mich war, nachdem meine Mum und unser Dad ums Leben kamen. Man schickte mich auf ein Internat. Eine sehr gute Schule, und alle waren sehr nett, aber keiner der Lehrer nahm das Übersinnliche ernst. Ich spürte, dass ich meine Fähigkeiten geheim halten musste.«
»Sie müssen sehr einsam gewesen sein«, sagte Elizabeth.
»Es war das Jahr, als ich mir meines eigenen Talents bewusst wurde. Ich hatte niemanden, mit dem ich über das sprechen konnte, was ich in Spiegeln sah, aber ich wusste wenigstens, was ich zu erwarten hatte, da meine Eltern mich darauf vorbereitet hatten. Es tut mir leid, dass Sie bisher niemanden hatten, mit dem sie darüber reden konnten.«
Elizabeth sah zur Tür. »Ach, du liebe Güte, Mum ist gekommen. Ich kann ihr ansehen, wie erregt sie ist. Ich werde mit ihr gehen müssen. Aber ich möchte mich gern wieder mit Ihnen zum Tee treffen. Wäre das möglich?«
»Ich bin nicht sicher, ob Ihre Mutter dies billigen würde«, sagte Virginia leise.
Helen trat an den Tisch und sah Virginia an. »Danke, dass Sie mich benachrichtigt haben«, sagte Helen leise.
»Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte Virginia ebenso leise.
Nun richtete Helen ihren Blick auf Elizabeth. »Du hast mir einen argen Schrecken eingejagt.«
»Es tut mir ja so leid, Mum.« Elizabeth blinzelte gegen ihre Tränen an und sprang auf.
»Komm«, sagte Helen. »Wir müssen jetzt nach Hause.«
»Ja, Mum.«
Helen wandte sich noch einmal Virginia zu. »Ich stehe in Ihrer Schuld, Miss Dean.«
»Nein«, sagte Virginia. »Keine Ursache. Ich hätte dasselbe für jeden in Ihrer Lage getan.«
»Ja, das glaube ich Ihnen. Guten Tag, Miss Dean.«
»Lady Mansfield«, sagte Virginia.
Elizabeth sah sie lächelnd an. »Leben Sie wohl, Miss Dean. Es tut mir leid, dass ich Mum erschreckt habe, aber ich bin so froh, dass wir uns getroffen haben.«
»Leben Sie wohl«, sagte Virginia.
Sie sah Helen und Elizabeth nach, als sie aus dem Teesalon gingen. Keine der beiden drehte sich um.
Nach einer Weile stand sie vom Tisch auf und ging nach oben in ihr kleines Büro. Sie schloss die Tür auf, trat ein und setzte sich an den Schreibtisch. Dann ließ sie den Blick schweifen, sah die Stühle für die Klienten, den Aktenschrank und die neuesten Ausgaben des vom Institut herausgegebenen Journal of Paranormal Investigations.
Das ist meine Welt, dachte sie. Sie gehörte hierher. Sie liebte ihren Beruf, sie hatte Freunde. Sie brauchte die zweite Familie ihres Vaters nicht. Aber es wäre wundervoll, eine eigene Familie zu haben.
21
»War dies das erste Treffen mit deiner Schwester?«, fragte Owen.
»Ja«, sagte Virginia. »Ich wusste natürlich von ihr. Mein Vater sagte es mir, als Elizabeth geboren wurde. Aber ich hatte sie noch nie gesehen. Ehrlich gesagt, war ich schockiert, als Lady Mansfield heute vor meiner Tür stand und fragte, ob Elizabeth bei mir sei.«
Sie saßen in einer Droschke, die zum Tatort des zweiten Spiegel-Deuter-Mordes fuhr. Es war spät und dunkel genug, sodass Virginia den Spiegel genau würde deuten können.
Owen war nicht sicher, was er von Virginias Stimmung halten sollte. Sie war gefasst, doch er hatte den Eindruck, dass ihre Gedanken nicht allein auf den Fall konzentriert waren.
»Lady Mansfield hat offenbar erkannt, dass es nur logisch ist, wenn ihre Tochter sich mit Fragen über ihr Talent an dich wendet«, sagte er.
»Helen wird sich der Tatsache stellen müssen, dass Elizabeth nicht einfach so tun kann, als sähe sie keine Auren. Elizabeth kann ihr Talent vor Freunden und Bekannten verbergen, vor sich selbst aber kann sie ihre Fähigkeit nicht verleugnen.«
»Nein, es gehört zu ihr wie ihre anderen Sinne. Sie braucht aber Führung.«
»Ich erzählte Elizabeth von der Arcane Society.«
»Eine gute Idee«, sagte Owen.
»Sie ist interessiert an den Vorträgen, die das Leybrook Institute anbietet. Ich erklärte ihr, dass Arcane diese Organisation nicht schätzt, da der Prozentsatz der Scharlatane, die sich hier betätigen, sehr hoch ist.«
Owen beobachtete Virginias Gesicht im Halbdunkel. »Wie war es für dich, als dein Talent sich bemerkbar machte?«
»Ich war dreizehn. Meine Eltern waren wenige Monate zuvor
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