Ungezaehmte Leidenschaft
Stellung bezogen hatten, nur verschwommen. Aber Nick sah sie genau. Wie gut er aussieht, dachte sie bei sich. Im Wagen hatte sie ihre Brille kurz aufsetzen müssen, um ein paar kleine Veränderungen an seiner Erscheinung vorzunehmen – sie hatte den traurigen Knoten seiner schwarzen Krawatte neu geschlungen und ihn diskret darauf hingewiesen, dass seine Satinweste schief zugeknöpft war, was er unverzüglich korrigiert hatte.
»Was lässt sich nicht durchführen?«, fragte sie.
»Owens Plan«, erklärte Nick. Er war sichtlich verblüfft. »Das verstehe ich nicht. Wenn es darauf ankommt, ist auf Owen Verlass, aber dieses Mal …«
Er betrachtete die Szene unter ihnen wie ein schwieriges Puzzle. Obwohl Charlotte die Einzelheiten nicht ausmachen konnte, wusste sie, dass der Balkon – ursprünglich dazu bestimmt, die Musiker bei einem Ball zu verbergen – Nick einen Panoramablick über den Saal gestattete.
»Ich war der Meinung, Ihre Aufgabe sei es, nach jenen subtilen Zeichen Ausschau zu halten, die anzeigen, dass ein gewisser Jemand ein auffallendes oder obsessives Interesse an Virginia hat«, sagte Charlotte. »Wirklich, Sir, ist das so schwierig? Sie sollen ein Talent dafür haben, kleinste Einzelheiten wahrzunehmen.«
»Es ist ausnahmsweise sehr schwierig, da viele Menschen in diesem Raum Miss Dean großes Interesse entgegenbringen. Die Einzigen, die sie und meinen Vetter nicht heimlich beobachten, sind die Bediensteten. Da unten werden wilde Spekulationen angestellt.«
»Ja, Spekulationen über ihre Beziehung zu Mr. Sweetwater. Ich hatte Virginia davor gewarnt, da ich wusste, dass jeder das Schlimmste annehmen würde.«
»Verdammt. Sicher wird niemand argwöhnen, dass sie Owen bei den Mordermittlungen hilft?«
»Nein, natürlich nicht. Es ist viel schlimmer als das. Man glaubt, dass sie eine Affäre mit ihm hat.«
»Ist das alles?« Nick war sichtlich erleichtert. »Dann liegt kein Grund zur Sorge vor. Ich wüsste nicht, wie dieser Klatsch für Owen ein Problem sein sollte. Sie hatten mir einen Riesenschrecken eingejagt.«
Charlotte sah Nick lange an.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Nick.
»Hier geht es um den guten Ruf meiner liebsten Freundin. Sie sollten nicht gar so überheblich daherreden, Sir.«
»Ich verstehe nicht, wie eine Affäre mit Owen Miss Deans Ruf schaden könnte. Sie ist keine Achtzehnjährige, deren Familie eine gute Partie anvisiert.«
Charlotte sagte nichts, sah Nick nur weiter an.
Nick, der spürte, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte, räusperte sich. »Miss Dean ist doch eine Frau von Welt«, äußerte er matt.
»So wie ich«, sagte Charlotte. »Sind Sie immer so dumm, Sir?«
Er seufzte. »Wenn es auf solche Nuancen ankommt, leider ja.«
»Es war ziemlich ungehobelt zu betonen, dass Virginia und ich Frauen in einem gewissen Alter sind.«
»Niemals wollte ich auch nur andeuten, dass eine von Ihnen fortgeschrittenen Alters ist«, sagte Nick hastig. »Nur reif.«
»Danke«, sagte Charlotte. »Erlauben Sie, dass ich Ihnen die Crux des Problems erkläre, Sir. Es stimmt natürlich, dass es Virginia in ihrem Alter freisteht, sich auf eine diskrete romantische Affäre einzulassen. Die Schwierigkeit in diesem Fall liegt aber darin, dass der Mann, den alle für ihren Liebhaber halten, Ihr Vetter ist.«
Nick sah sie verständnislos an. »Wo ist das Problem?«
»Falls es Ihnen nicht schon aufgefallen ist, heute ist niemand in diesem Raum, der Owen Sweetwater Vertrauen entgegenbringt.«
»Ich verstehe.« Nick schien allmählich zu verstehen.
»Dank seiner neuen Freizeitbeschäftigung, Leybrook-Praktiker in der Presse bloßzustellen, wird er nun als ernste Bedrohung für alle gehalten, die mit dem Leybrook Institute zusammenarbeiten.«
»Ich verstehe«, sagte Nick wieder.
»Erst glaubten die Leute nur, Virginia gestatte ihm, ihre Fähigkeiten zu studieren. Jetzt aber wird gemunkelt, dass sie eine Affäre mit ihm hat. Man wird annehmen, dass sie Geheimnisse an ihren Geliebten verrät. Ich fürchte, dass sie hier im Institut nicht mehr willkommen sein wird, wenn Mr. Sweetwater seine Untersuchung abgeschlossen hat.«
Nick überlegte. »Vielleicht sollte sie eine Verbindung mit Arcane erwägen. Wenn ich es recht bedenke, sollten Sie beide beitreten.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Sir. Arcane hat uns, die wie wir von unseren Talenten leben müssen, nie mit offenen Armen empfangen.«
»Es heißt allgemein, dass die Society sich verändert hat,
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