Ungezaehmte Nacht
immer denken, ich wollte, dass ihr etwas zustößt«, sagte sie, Gesicht und Augen umwölkt von Schmerz und Qual.
»Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich weiß nur, dass ihr Leben in Gefahr ist und von etwas anderem bedroht wird als von dem, was in mir selbst lebt.«
»Was hätte ich durch ihren Tod zu gewinnen? Was wäre mein Motiv? Ich bin der einzige Mensch, dem du ihr Leben anvertrauen kannst. Der einzige, Nicolai! Du bist mein Bruder, und ich war dir stets eine loyale, treue Schwester.« Mit trotzig vorgeschobenem Kinn erwiderte sie seinen scharfen Blick. »Isabella hat mir eine Aufgabe übertragen, und ich habe ihr mein Ehrenwort gegeben und gedenke, es zu halten. Wenn du mich jetzt also bitte entschuldigen würdest …« Sie straffte die Schultern und ging zur Tür.
Nicolai fuhr sich nervös mit der Hand durch die dichte Mähne. »Francesca.« Seine Stimme ließ sie innehalten, aber sie drehte sich nicht um. »Ich vertraue nicht einmal mehr mir selbst«, gab er mit leiser Stimme zu.
Sie nickte und blickte sich traurig nach ihm um. »Das solltest du auch nicht. Du stellst eine größere Gefahr für Isabella dar als jedweder Verräter unter unserem Dach. Das wissen wir beide. Und sie weiß es auch. Der Unterschied ist nur, dass Isabella bereit ist zu riskieren, bei uns zu bleiben und ihr Leben und das unsere lebenswert zu machen, während wir beschlossen haben, uns von der Welt zurückzuziehen und das Leben und die Liebe an uns vorüberziehen zu lassen. Ohne Isabella hat keiner von uns eine echte Chance auf ein Leben.«
»Und welche Chance auf ein Leben hat sie mit uns? «, hielt Nicolai dagegen.
Francesca zuckte mit den Schultern. »Wie bei jeder Braut vor ihr wird die Bestie abwarten, bis ihr einen Erben hervorbringt und die Nachfolge gesichert ist. Diese Jahre hat sie auf jeden Fall. Also mach sie glücklich, Nicolai, und sorg dafür, dass ihr Opfer nicht umsonst war! Oder entscheide dich dafür, den Fluch zu brechen!«
»Du redest, als hätte ich eine Wahl.« Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten und spürte seine Nägel wie Nadelstiche in seine Handballen eindringen. »Aber wie soll ich den Fluch brechen, Francesca?«, fragte er voller Zorn und Hoffnungslosigkeit. »Weiß irgendjemand, wie sich das bewerkstelligen lässt?«
Francesca schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass es möglich ist.«
Nicolai sah seiner Schwester nach, als sie hinausging, und begann dann, wieder unruhig hin und her zu gehen. In seinem Kopf arbeitete es wie verrückt. Von dem Moment an, als Isabella ins Tal gekommen war, hatte ein Mörder sie verfolgt. Er musste den Verräter finden und ihn ausschalten … oder sie, falls es mehrere waren.
Isabella regte sich, und Schatten überzogen ihr bisher so friedliches Gesicht. Sofort ging er zu ihr, um sich zu ihr aufs Bett zu legen, behutsam einen Arm unter sie zu schieben und sie an sein Herz zu drücken. In einer beruhigenden Geste strich er mit dem Kinn über das weiche Haar an ihrem Oberkopf, wobei er sich allerdings nicht ganz sicher war, ob er damit Isabella oder sich selbst beruhigen wollte.
»Nicolai?«, flüsterte sie mit unsicherer Stimme und noch gefangen zwischen Traum und Albtraum.
»Ich bin hier, cara mia «, versicherte er ihr. Wieder einmal übermannte ihn die Intensität seiner Emotionen, und ihm schossen Tränen in die Augen und schnürten ihm die Kehle zu. »Denk nur an Glück und Freude, Isabella! Dein Bruder ist innerhalb der Mauern des Palazzos sicher. Du bist in deinem Zimmer in Sicherheit, ich bin bei dir, Liebste.« Sehr sanft und zärtlich bedeckte er ihren Hals mit Küssen. » Ti amo , und ich schwöre dir, dass ich einen Weg finden werde, dich vor allen Gefahren zu beschützen.«
»Wenn du bei mir bist, Nicolai, fühle ich mich geborgen und beschützt«, murmelte sie. »Ich wünschte, du würdest dich auch sicher fühlen, wenn du bei mir bist«, fügte sie ein bisschen wehmütig hinzu. »Ich will, dass du endlich Frieden findest. Warum findest du dich nicht mit dem ab, was du bist, Nicolai? Akzeptier doch einfach, wer und was du bist, mein Herz – denn das bist du geworden, Nicolai: mein Herz.« Ihre Wimpern flatterten, und ihr weicher Mund verzog sich zu dem Anflug eines Lächelns. »Bleib bei mir, und lass den Rest der Welt sich um sich selbst kümmern!«
»Ich kann dich nicht einmal vor dem Verräter in unserem eigenen Zuhause schützen«, entgegnete er bekümmert. »Und wie kann ich dich vor dem beschützen, was ich selbst
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